„Wenn ich meine kulturelle Kompetenz entwickle, kann ich überall bestehen“
Die Globalisierung sorgt für eine kulturelle Vielfalt auf dem deutschen Arbeitsmarkt und an Hochschulen. Menschen mit Migrationshintergrund sind wichtige Ressourcen für den Ingenieurarbeitsmarkt. 15% der 1,8 Mio. Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland sind zugewandert. Seit 2005 ist die Beschäftigung von ausländischen Ingenieuren um über 60% gestiegen. Im Gegenzug haben laut einer Umfrage vom International Education Centre (IEC) und der Deutschen Bildung aber nur 31% der Studierenden in Technik- und Ingenieurwissenschaften großes Interesse daran, während des Studiums ins Ausland zu gehen. Wie steht es also um die Erfahrung deutscher Studierenden und Promovierenden in der Zusammenarbeit mit kulturell vielfältigen Teams, vor allem im Hinblick auf ihren zukünftigen Berufseinstieg? Wie wichtig ist kulturelles Verständnis, wenn Teams etwas zusammen erarbeiten? Der VDI hat dazu mit Diversity Managerin Maria Prahl gesprochen. Sie ist Referentin beim zweiten VDI-Doktorandentag am 13. September in München.
Der Arbeitsmarkt und die wissenschaftliche Zusammenarbeit an Hochschulen werden immer internationaler und vielfältiger. Was verändert sich durch die zunehmende Globalisierung für Studierende und Promovierende?
Maria Prahl: Wir erleben, dass Vielfalt und unterschiedliche Hintergründe zur Normalität werden. Wir merken, dass internationale Teamarbeit und Projektarbeit schon in der Hochschule keine Ausnahme mehr ist und die Studierenden und Promovierenden im geschützten Rahmen bereits Erfahrungen sammeln können.
Inwiefern kann man interkulturelle Zusammenarbeit erlernen?
Durch eigenes Erleben und durch das Reflektieren der eigenen Erfahrungen, besonders der eigenen Haltung. Es ist ein längerer Prozess, der auch von typischen Phasen gekennzeichnet ist. Zum Beispiel verneinen Studierende und Promovierende anfangs oft, dass es Unterschiede gibt. Hier sehen sie ihre eigene Arbeitsweise als die einzige logische und richtige Art des Arbeitens. Später sind sie häufiger im Widerstand und vermeiden die Zusammenarbeit und sind in Stereotypen gefangen. Wenn man bereits mehr Erfahrung gesammelt und die Reflexionskompetenz erworben hat, ist man dann in der Lage auch die Gemeinsamkeiten in der Zusammenarbeit zu sehen und die Bereicherung durch die Vielfalt der Perspektiven und Ansätze zu schätzen.
Deutsche Studierende der Ingenieurwissenschaften haben im Vergleich zu anderen Disziplinen weniger Motivation für ein Auslandssemester während des Studiums. Warum ist das so?
Wir erleben hier, dass es oftmals ein unbewusstes Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Ländern gibt. Die Studierenden wachsen damit auf, dass ihnen immer wieder erzählt wird, wie fantastisch die Ausbildung in Deutschland sei. Immer wieder wird uns berichtet, dass Professoren den Studierenden erklären, dass ihnen keiner ihrer Fachkurse aus dem Ausland anerkannt werden würde, weil das nicht den hiesigen Standards entspräche.
Andererseits erleben wir aber auch, dass die Mobilität steigt, wenn wir internationale und deutsche Studierende zusammen bringen und sie die Möglichkeit haben, sich kennenzulernen und ihre Stereotype zu hinterfragen. In unserem Kooperations-Projekt „Come to Munich – Be at Home“ erleben wir beispielsweise immer wieder, wie die Neugierde und die Bereitschaft ins Ausland zu gehen geweckt wird. Das passiert sobald die Teilnehmenden, die in Deutschland aufgewachsen sind, Menschen kennenlernen, die an anderen Orten studiert oder im Ausland gelebt haben. Die internationalen Studierenden werden dann oft zu Vorbildern für Mobilität.
Ist es für diese Berufsgruppe deswegen besonders schwer im diversen Umfeld zu arbeiten?
Nein! Aus unserer Erfahrung überwiegt, und das nicht nur bei den Studierenden der Ingenieurwissenschaften, die Identität mit dem eigenen Fach und im Laufe der Studien- und Arbeitszeit wird diese viel ausschlaggebender, als die Herkunftskultur. Wir erleben viel häufiger Konflikte zwischen Informatikern, Ingenieuren und Physikern als zwischen Ingenieuren aus verschiedenen Ländern. (lacht)
Vor welchen Herausforderungen stehen promovierende Ingenieure, die in Teams mit verschiedenen kulturellen und soziodemographischen Hintergründen zusammenarbeiten?
Als häufige Herausforderungen erleben wir die oftmals unausgesprochenen Erwartungen in Bezug auf Teamrollen. Welcher Führungsstil wird geschätzt? Welche Verantwortlichkeiten liegen bei den Einzelnen? Wie werden Entscheidungen im Team getroffen? Werden Initiative und Autonomie geschätzt? Oder sind Loyalität und Diensterfüllung ausschlaggebend?
Zusätzlich gibt es unterschiedliche Umgänge mit Unsicherheit. Muss alles dokumentiert werden und strikten Prozessen gefolgt werden? Oder darf kreativ, frei und flexibel gearbeitet werden? Wie gehen die Mitarbeiter mit Ereignissen um, die sich schlecht voraussagen lassen? Auch hier liegt Konfliktpotenzial.
Und wir merken, dass die in vielen deutschen Unternehmen gepflegte Sachorientierung zu Spannungen in Teams führt. Wie direkt darf Kritik und Feedback geäußert werden? Wie schnell darf man zum Punkt kommen? Erst die Arbeit und das Vergnügen? Oder erst ein gemeinsames Abendessen und dann die Arbeit bzw. der Vertrag? Wird Kritik als Möglichkeit zum Vorankommen verstanden oder eher als mangelnde Kooperationsbereitschaft verstanden?
Hier sollten Promovierende feinere Antennen ausbilden und in der Lage sein, ihr Verhalten flexibel ihrem Gegenüber anpassen zu können, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.
In welchen Kulturen sind die größten Unterschiede zu erwarten?
Wenn Sie von einem Start-Up in einen Konzern wechseln oder umgekehrt (lacht.) Nein im Ernst: Viele Menschen glauben, dass kulturelle Unterschiede zunehmen je weiter ein Land geografisch entfernt liegt. Dies können wir aber nicht bestätigen, vor allem nicht in der wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Überall auf der Welt bereiten sich Menschen auf die internationale Zusammenarbeit vor und passen sich an. Wenn ich meine kulturelle Kompetenz entwickle, kann ich überall bestehen – beim Wechsel in eine andere Firma oder bei der Geschäftsreise ins Ausland oder bei der Zusammenarbeit im internationalen Team.
Das kann man auch bei einem technisch-wissenschaftlichen Verein wie dem VDI beobachten. Dessen Richtlinien entstehen bzw. in einem Kooperations- und Austauschprozess zwischen verschiedenen Experten aus unterschiedlichen Kontexten. Hilfreich ist es generell davon auszugehen, dass Menschen sich in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verhalten, offen und mit vielen Fragen auf andere zuzugehen und nicht zu denken, dass man ohnehin schon alles weiß.
Was lernen Ingenieure in diversen Teams für ihre spätere Berufskarriere, sei es in der Wissenschaft oder in Unternehmen?
Sensibilität für andere Lebens- und Verhaltensweisen und deren Gleichwertigkeit, ihre eigene Perspektive zu relativieren, ihren Kommunikationsstil anzupassen, Ziele gemeinsam mit Menschen zu erreichen, die ganz andere Hintergründe mitbringen und ganz besonders: Unsicherheit auszuhalten.
(Quelle: Presseinformation des VDI)
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