Deutsche Wirtschaft verliert den Anschluss
Zu wenig Investitionen, zu viel Bürokratie, zu hohe Standortkosten – die deutsche Wirtschaft steckt fest. Sie verliert in Europa und international den Anschluss. Laut der in der vergangenen Woche veröffentlichten Prognose des Internationalen Währungsfonds liegt Deutschland von den 41 fortgeschrittenen Volkswirtschaften aktuell beim Wachstum auf Platz 39. „Wir haben es nicht nur mit einer konjunkturellen, sondern einer hartnäckigen strukturellen Krise am Standort Deutschland zu tun”, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben bei der Vorstellung der Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer zum Herbst 2024, an der sich rund 25.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen in Deutschland beteiligt haben.
„Für 2025 geben es unsere Zahlen nicht her, optimistisch zu werden. Im Gegenteil, an manchen Stellen lassen die Rückmeldungen der Unternehmen befürchten, dass es noch schlechter kommen könnte. Für 2024 senken wir unsere Prognose auf allenfalls eine „rote Null“. Auch für das kommende Jahr rechnen wir lediglich mit Null-Wachstum. Das wäre dann das dritte Jahr in Folge ohne realen Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt!“
„Die schlechten Erwartungen aus dem Frühsommer sind jetzt tatsächlich betriebliche Wirklichkeit geworden. Sie werden auch nicht durch die Hoffnung auf eine Verbesserung der konjunkturellen Rahmenbedingungen oder durch einen wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag aufgehellt wie beispielsweise mittel- bis langfristig sinkende Energiepreise oder steigende Einkommen. Uns bereitet große Sorgen, wie sehr Deutschland für Europa zur wirtschaftlichen Belastung wird und seiner Rolle als wirtschaftliches Zugpferd nicht mehr gerecht werden kann“ , sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben bei der Vorstellung der Umfrage am 29. Oktober in Berlin.
„Wir erleben eine handfeste Strukturkrise. Zu den hohen Kosten für Energie und Personal, der ausufernden Bürokratie und der Steuerbelastung kommen noch geopolitische Unsicherheiten und eine wegbrechende Nachfrage aus dem In- und Ausland hinzu“, so Wansleben.
Geschäftslage und -erwartungen verdüstern sich – vor allem in der Industrie
Nur noch 26 Prozent (nach zuvor 28 Prozent im Frühsommer) der Unternehmen bewerten ihre aktuelle Geschäftslage als „gut“. Fast gleich hoch ist der Anteil, der seine Lage als „schlecht“ bewertet (25 Prozent nach zuvor 23 Prozent). Der Saldo aus den positiven und negativen Lagebewertungen sinkt damit auf lediglich einen Punkt (nach fünf Punkten im Frühsommer).
Am schlechtesten ist die Lage in der Industrie. Die Optimisten sind hier in die Minderheit. Nur noch 19 Prozent der Betriebe bewerten ihre aktuelle Lage als „gut“. 35 Prozent beantworten die Frage „gut oder schlecht?” mit „schlecht“. Der Saldo sinkt um elf Prozentpunkte auf minus 16 Punkte und liegt weit unter dem langjährigen Durchschnitt von plus 21 Punkten. „Eine solche Situation hatten wir zuletzt vor 20 Jahren während der schweren Krise in den Jahren 2002 und 2003. Das ist ein deutliches Alarmsignal. Damals hat die Regierung versucht, mit der Agenda 2010 die Krise zu überwinden. Tiefgreifende Reformen brauchen wir jetzt auch“, mahnte der DIHK-Hauptgeschäftsführer.
Einen besonders dramatischen Einbruch bei der Geschäftslage verzeichnet der Kraftfahrzeugbau: Der Saldo stürzt um 27 auf minus 31 Punkte ab. „Hier kommen die tiefgreifenden Herausforderungen, mit denen die Branche konfrontiert ist, zum Tragen: hohe Produktionskosten und vor allem die Transformation hin zur E-Mobilität, die zusätzliche Anpassungs- und Investitionsanforderungen mit sich bringt. Hinzu kommen der Trend, ‚local for local‘ zu produzieren, sowie eine wachsende und ernst zu nehmende Konkurrenz auf den Weltmärkten“, so Wansleben. Wie schwierig die Situation für viele Unternehmen hier ist, zeigt ein Blick auf die Finanzen. Jedes zweite Unternehmen im Kraftfahrzeugbau meldet uns aktuell ein Problem bei der Finanzlage. 30 Prozent der Hersteller von Kfz-Teilen und Zubehör haben einen erschwerten Fremdkapitalzugang.
Auch die Geschäftserwartungen für die kommenden Monate in der Gesamtwirtschaft geben keinen Anlass für Optimismus. Denn der Anteil der Unternehmen mit negativen Erwartungen nimmt spürbar zu: 31 Prozent rechnen mit schlechteren Geschäften (zuvor 26 Prozent), während nur noch 13 Prozent eine Verbesserung erwarten (zuvor 16 Prozent). „Für die Betriebe zeichnet sich kein Licht am Horizont ab. Allenfalls könnte die kürzliche Zinssenkung der EZB ein erster Hoffnungsschimmer sein, wir sehen ihn aber noch nicht in unseren Zahlen“, sagte Martin Wansleben.
Deutliche Hinweise auf Deindustrialisierung
Die Bruttoanlageinvestitionen liegen noch immer deutlich unter dem Vor-Coronaniveau. Es gibt auch keine Hinweise auf eine Verbesserung. Im Gegenteil, ein Drittel der Unternehmen will seine Investitionen am heimischen Standort zurückfahren. In der Industrie sind es sogar 40 Prozent. „Die Anzeichen einer Deindustrialisierung erhärten sich. Die schlechten Investitionen zeigen, dass die industrielle Wertschöpfungsbasis sinkt“, sagte Wansleben. „Für eine alternde Gesellschaft, die auch noch Herausforderungen wie die Dekarbonisierung der Wirtschaft meistern will, ist Produktivitätsfortschritt der einzige Ausweg. Dazu braucht es aber massiv mehr Investitionen.“
Die Beschäftigungsabsichten bröckeln
Die schwache Investitionsneigung spiegelt sich auch in den Beschäftigungsplänen wider. Es gibt zwar keinen flächendeckenden Personalabbau, aber die Zeit sinkender oder stabiler Arbeitslosenzahlen ist erst einmal vorbei. Ein Viertel aller Betriebe will die Anzahl der Beschäftigten senken. Mit einem Personalaufbau rechnet hingegen nur noch jeweils gut ein Zehntel. Der Strukturwandel ist im vollen Gange. Besonders deutliche Einschnitte sehen wir in der Kfz-Branche und den energieintensiven Unternehmen. „Anders als in den letzten Jahren wird es zukünftig auch vermehrt Arbeitsplatzverluste gegeben. Derzeit wird das noch durch die demografische Entwicklung gebremst – der Fachkräftemangel sorgt trotz der schwachen wirtschaftlichen Lage für eine relativ stabile Beschäftigung. Das ist aber nur ein schwacher Trost“, sorgt sich Martin Wansleben.
Geschäftsrisiken weiterhin hoch
Auch dieses Mal haben wir die Betriebe gefragt, worin sie die Hauptrisiken sehen. Jenseits der geopolitischen Spannungen und Krisen sorgen sich die Unternehmen um die Standortbedingungen in Deutschland: Mehr als jedes zweite Unternehmen sieht unsichere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen (57 Prozent), Arbeitskosten (54 Prozent) oder Fachkräftemangel (51 Prozent) als brisantes Geschäftsrisiko. Trotz Rückgängen sind für knapp die Hälfte auch noch die Energie- und Rohstoffpreise ein Problem (49 Prozent).
Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit droht
Verschlechterte Standortbedingungen belasten die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Deutschland droht auf den Weltmärkten an Boden zu verlieren. Trotz eines robusten Wachstums der Weltwirtschaft erwartet die Exportindustrie für die nächsten zwölf Monate keine Besserung: Nur jedes fünfte Unternehmen erwartet steigende Ausfuhren, knapp ein Drittel geht von einem Rückgang aus. Die Transmission zwischen guter oder halbwegs guter Auslandskonjunktur und dadurch guten Geschäften unserer Exportunternehmen, was wiederum die Konjunktur in Deutschland anschiebt, funktioniert immer weniger.
Die Unternehmen brauchen ein deutliches Signal
„Die Zahlen sind dramatisch. Es ist an der Zeit umzusteuern. Die negative Entwicklung muss gestoppt werden. Dazu brauchen wir schnelle und zielgerichtete Maßnahmen, mit denen vor allem die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Die Wachstumsinitiative der Bundesregierung bietet zwar gute Ansätze, reicht aber bei weitem nicht aus. Zusätzliche umfassende Reformpakete sind nötig. Ich nenne hier vor allem steuerliche Entlastungen durch eine investitionsfreundliche Unternehmenssteuerreform und die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Und auch das Thema Bürokratieabbau muss endlich so angefasst werden, dass das in der betrieblichen Ebene spürbar wird. Hier ist vor allem auch die europäische Ebene gefragt. Die nationalen Regierungen können das nur eingeschränkt. Wenn Europa das Ruder nicht herumreißt und konsequent Regulierung abbaut, wird es mit der Konjunktur lange nicht aufwärts gehen“, mahnte Martin Wansleben.
(Quelle: Presseinformation der DIHK – Deutsche Industrie- und Handelskammer)
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