Die Führungskraft als Influencer
Je komplexer die Beziehungsnetzwerke in den Unternehmen werden, umso mehr müssen Führungskräfte über die Kompetenz verfügen, andere Menschen für sich und ihre Ideen zu begeistern. So müssen sozusagen zu Influencern in ihrem Umfeld werden.
Führungskräfte, die erfolgreich, also wirksam sind, können das Denken und Handeln der Menschen in ihrem Umfeld beeinflussen. Das heißt nicht notgedrungen, dass sie in die Meinungsführerschaft in ihm übernehmen. Eine solche Vorstellung wäre noch stark dem alten Top-down-Denken verhaftet: Eine Person denkt vor und die anderen übernehmen ihre Meinung bzw. folgen ihren Anweisungen.
Eine solche Kultur entspricht nicht mehr den betrieblichen Erfordernissen in einer Zeit, in der die Kernleistungen der Unternehmen meist in einer bereichs- und funktionsübergreifenden Teamarbeit erbracht werden. In ihr lautet das Ziel von Führung vielmehr, in dem eigenen Umfeld, ein Milieu zu kreieren, in dem andere Menschen
- sich gerne für das Erreichen der gemeinsamen Ziele engagieren und
- eigeninitiativ ihr Denken und Handeln daraufhin überprüfen, inwieweit sie damit ihren Beitrag hierzu leisten, und dies im Bedarfsfall neu justieren.
Veränderte Rahmenbedingungen beim Führen
Tendenziell war dies auch in der Vergangenheit schon so – zumindest in den Bereichen der Unternehmen, in denen Experten gemeinsam komplexe Problemlösungen, gleich welcher Art, entwickeln; sei es für externe oder firmeninterne Kunden. Dessen ungeachtet haben sich jedoch die Rahmenbedingungen für Führung stark gewandelt.
So wurden im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung und des Bestrebens der Unternehmen, flexibler auf die Marktanforderungen zu reagieren, zum Beispiel die Beziehungsnetzwerke in ihnen stets komplexer. Deshalb gilt es heute beim Führen mehr Interessen zu berücksichtigen. Außerdem müssen die Führungskräfte in ihr Denken und Handeln zunehmend auch Personen integrieren, die ihnen hierarchisch nicht unterstellt sind – so zum Beispiel die Führungskräfte der Bereiche, mit denen ihr Bereich bei der Leistungserbringung kooperiert, und die strategisch relevanten Dienstleister.
Die Führungsaufgabe wird auch komplexer, weil die Belegschaften und Beziehungsnetzwerke in den Unternehmen immer heterogener werden: „digital natives“ müssen mit „digital immigrants“ kooperieren, Europäer mit Asiaten, festangestellte Mitarbeiter mit Freelancern, reiche Erben, die im Job primär Erfüllung suchen, mit jungen Vätern und Müttern, die rasch ihr Eigenheim abbezahlen möchten.
Und all dies diese Individuen soll die arme Führungskraft führen und inspirieren – und zwar in einem Umfeld, das von permanenter Veränderung geprägt ist.
Führungskräfte müssen Beziehungsmanager werden
In einem solchen Kontext ist erfolgreiche Führung nur möglich, wenn die Führungskräfte sich als Beziehungsmanager verstehen, deren Kernaufgabe es ist, die Beziehungen im sozialen System Unternehmen so zu gestalten, dass die Mitarbeiter effektiv zusammenarbeiten können; außerdem als emotionale Leader, deren Aufgabe es ist, ihre Mitarbeiter bzw. Netzwerkpartner zu inspirieren. Sie müssen sozusagen „Beeinflusser“ bzw. „Influencer“ ihres sozialen Umfelds werden. Hierfür benötigen die Führungskräfte unter anderem feine Antennen für die Stimmungen, Interessenlagen, Wechselwirkungen usw. in ihrem Umfeld, um hierauf angemessen zu reagieren.
Doch dies allein genügt nicht. Sie müssen sich auch Zeit für das Gespräch mit ihren Netzwerkpartnern nehmen und ihnen aktiv zuhören, denn: Kommunikation ist und bleibt die Basis von Beziehung und die wichtigste Informationsquelle. Dabei ist es wichtig, auch die informellen Botschaften wahrzunehmen, die Personen zwischen den Zeilen formulieren und zum Beispiel durch ihre Körpersprache artikulieren. Selbst hinter solchen scheinbaren Kleinigkeiten, wie dass eine Kontaktperson eine Mail schreibt statt zum Telefonhörer zu greifen, kann sich eine wichtige Botschaft verbergen. Und diese gilt es wahrzunehmen bzw. zu entschlüsseln, um hierauf angemessen zu reagieren.
Führungskräfte müssen Wirkung erzielen
Das heißt Führungskräfte, die sich als Influencer verstehen, brauchen eine hohe Achtsamkeit und viel Empathie, also ein hohes Einfühlungsvermögen. Sie müssen zudem bereit und fähig sein, ihr Denken und Handeln situations- und kontextabhängig daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie damit die gewünschte Wirkung erzielen – sich also selbst als Lernende begreifen.
Als Führungskraft ein Influencer zu sein, bedeutet also nicht primär in den Social Media präsent bzw. aktiv zu sein. Dies ist, wenn überhaupt, ein Nebenaspekt bzw. eine Folgewirkung eines entsprechenden Selbstverständnisses, denn: In den Unternehmen spielt zwar die Kommunikation per Mail und mittels solcher Kollaborationstools und Kommunikationssysteme wie Teams, Zoom oder Skype eine immer größere Rolle. Also müssen Führungskräfte diese Tools auch effektiv nutzen – insbesondere wenn sie virtuelle Teams leiten oder ein Teil ihrer Mitarbeiter bzw. Netzwerkpartner an anderen Standorten oder im Homeoffice arbeitet.
Anders verfällt es sich jedoch bezogen auf die klassischen Social Media wie Facebook, LinkedIn, Instagram & Co. Sie spielen zumindest im Führungsprozess eine eher marginale Rolle, weil sich in ihm die wesentliche Kommunikation immer noch im persönlichen Kontakt vollzieht – sei es im Face-to face-Gespräch oder via Telefon oder per Mail. Die Social Media hingegen haben, wenn es um das Thema Führung geht, nur eine ergänzende Funktion.
Führungskräfte können von Influencern lernen
Dessen ungeachtet können Führungskräfte von den sogenannten Influencern in den Social Media einiges lernen, wenn es um die Frage geht: Wie erreiche ich, dass andere Menschen mir folgen und sich von mir direkt oder indirekt beeinflussen lassen?
1. Influencer zeigen sich und stellen sich dem Diskurs.
Ein wichtiger Punkt ist – so banal dies klingt: Influencer sorgen dafür, dass sie sichtbar sind – zum Beispiel, indem sie regelmäßig ihre Social Media-Kanäle füttern und ihr virtuelles Netzwerk pflegen.
Ähnliches gilt auch für alle Personen, die Influencer sind oder sein möchten. So war es zum Beispiel auffallend, wie oft unsere Spitzenpolitiker speziell in der corona-bedingten Lockdown-Phase nach einem gewiss anstrengenden Arbeitstag abends noch in Fernseh-Talkshows saßen, um ihr Denken und Handeln der Bevölkerung zu vermitteln und zu erreichen, dass diese ihre Entscheidungen mitträgt. Das heißt, eine Führungskraft, die sich nur hinter ihrem Schreibtisch und Aktenbergen verbirgt, wird nie ein Influencer, denn eine Voraussetzung hierfür ist: Man muss die Kommunikation mit den Netzwerkpartner gezielt suchen.
2. Influencer stehen erkennbar für gewisse Werte.
Ein weiterer, wichtiger Punkt bei fast allen erfolgreichen Influencern nicht nur im Internet, die anders als so manche C-Promis keine reinen Selbstdarsteller sind, ist: Sie haben eine klare Botschaft bzw. stehen erkennbar für gewisse Werte. Dies sollte auch bei Führungskräften der Fall sein, denn sonst sind sie für ihre Netzwerkpartner unberechenbar. Wenn sie in ihrem Denken und Handeln aus deren Sicht wie ein Rohr im Wind schwanken, und auf sie sozusagen kein Verlass ist, fassen sie zu ihnen auch kein Vertrauen. Und dies führt wiederum dazu, dass auch sie nicht bereit sind, ihnen und ihren Ideen bzw. Überzeugungen zu folgen. Dies ist jedoch gerade in unsicheren Zeiten wie den aktuellen, in denen auch viele (Handlungs-)Strategien in den Unternehmen auf dem Prüfstand stehen, für den Führungserfolg extrem wichtig.
3. Influencer inszenieren ihre Auftritte.
Ein weiterer Punkt ist: Alle erfolgreichen Influencer überlassen ihr Auftreten nicht dem Zufall. Sie inszenieren ihre Auftritte, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Diesbezüglich haben viele Führungskräfte noch Entwicklungspotenzial. Das zeigte sich unter anderem bei den Online-Meetings in der Lockdown-Phase nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Bei ihnen registrierte man als Beobachter bei den Meetings immer wieder:
- Die Führungskräfte loggen sich meist als letzter Teilnehmer, oft sogar verspätet ein.
- Sie tragen, wenn sie im Homeoffice arbeiten, häufig eine sehr legere Freizeitkleidung.
- Sie hängen nicht selten schlaff auf ihrem Stuhl.
- Im Hintergrund sieht man bei ihnen zum Beispiel ein Strandbild mit Palmen.
Dabei war eine Botschaft, die die Führungskräfte ihren Mitarbeitern in den Online-Meetings eigentlich stets vermitteln wollten: „Wir arbeiten nun zwar im Homeoffice, doch ansonsten gilt: Business as usual.“ Von ihrem persönlichen Auftritt ging jedoch oft die gegenteilige Botschaft aus.
Einer Führungskraft, die sich als Influencer versteht, passiert ein solches Missgeschick nicht oder nur selten, denn sie reflektiert vor ihrem öffentlichen Auftritt: Welche Wirkung will ich erzielen bzw. welche Botschaft will ich vermitteln, und wie sollte ich mich folglich präsentieren bzw. inszenieren? Auch dies erfordert eine gewisse Selbstreflektion, die stets nötig ist, wenn Menschen ihre gewohnten Reiz-Reaktionsmuster durchbrechen und sich weiterentwickeln möchten.
Influencing ist das Führen von morgen
Eine solche gezielte Weiterentwicklung der Führungskräfte ist nötig, wenn diese sich zu echten Influencern in ihren Umfeld entwickeln möchten, denn: Influencing wird das Führen von morgen sein. Denn nur wenn es den Führungskräften gelingt, andere Menschen für sich und ihre Ideen zu begeistern, können sie in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt ihre komplexer werdende Führungsaufgabe noch erfolgreich wahrnehmen. Als „Einzelkämpfer“ bzw. „lonely heroes“ schaffen sie dies nicht.
(Quelle: Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Anfang August erschien im Gabal-Verlag ihr neues Buch „Die Führungskraft als Influencer: In Zukunft führt, wer Follower gewinnt“.)
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