HÜTTENTAG 2024 führt die Trendthemen Wasserstoff und Künstliche Intelligenz zusammen
Am 19. November 2024 war es wieder Zeit für den HÜTTENTAG, den alljährlichen Branchentreff der Stahlindustrie. Etwa 300 Teilnehmende aus der Stahlbranche kamen im Glasfoyer des Congress Centers Ost der Messe Essen zusammen, um sich zu den aktuellen Herausforderungen beim Stahl auszutauschen. Das Motto des HÜTTENTAGs gab die Richtung vor: Energiesicherheit für die grüne Transformation und Potenziale der Künstlichen Intelligenz sind die Themen der Stunde.
Den Auftakt übernahm am Vormittag Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. In ihrem Eröffnungsvortrag setzte sie den Ton für den HÜTTENTAG, indem sie die Bedeutung des Stahls für Deutschland und die EU hervorhob. „Der Stahl trägt zur ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität […] und zur strategischen Autonomie bei“, so Rippel. Gerade die gesellschaftliche Bedeutung dürfe – neben der Rolle als Markenkern in der Wirtschaft – nicht vernachlässigt werden.
WV Stahl warnt vor stockenden Wasserstoffhochlauf
Die Transformation hin zu einer klimafreundlicheren Stahlproduktion ist noch immer das prägendste Thema. Rund ein Drittel der CO2-Emissionen der Industrie sind auf die Stahlbranche zurückzuführen. „Da müssen wir ran!“, so Rippel. Wasserstoff ist einer der zukunftsträchtigsten Energieträger; für 2030 beziffert die Wirtschaftsvereinigung Stahl den Anteil des Stahls am gesamten Wasserstoffbedarf in Deutschland mit 30 %. Es gibt bereits zahlreiche Elektrolyseurprojekte, doch ein beruhigendes Signal ist das nicht. „Es liegen lediglich für drei Prozent dieser Projekte die Final Investment Decisions vor – der Wasserstoffhochlauf stockt und bezahlbare Preise sind nicht zu erkennen“, warnt die Hauptgeschäftsführerin. Aber bis es so weit sei, könne bei der Stahlherstellung durch den Umstieg vom Kokshochofen auf Direktreduktion mit Erdgas als Zwischenlösung schon etwa 60 % der CO2-Emissionen vermieden werden.
Forderung nach einer neuen EU-Handelspolitik
Doch auch das fortschrittlichste Stahlprodukt muss seine Abnehmer finden. Hier kommt der Handel ins Spiel. International steht der EU-Markt verstärkt unter Importdruck. Rippel verweist auf den noch unzureichenden Schutz und vergleicht: „In der Vergangenheit war die Situation in den USA unter Präsident Ronald Reagan eine ähnliche.“ Die tiefgreifenden Auswirkungen im Rust Belt würden zum Handeln in der Gegenwart mahnen. Dies bedeutet, dass die EU-Handelspolitik neu gedacht werden müsse. Dazu soll unter anderem auch LESS – der neue internationale Low Emission Steel Standard beitragen, für den ein eigenständiger Verein in Brüssel zuständig sein wird. So soll die Stimme der Branche in Europa verstärkt Gehör finden.
Zu den Erfolgsfaktoren für die grüne Transformation beim Stahl zählt zweifellos die Einführung klimafreundlicher Technologien. In seiner Keynote beschrieb Till Schreiter, Vorstandsvorsitzender des VDMA Metallurgy und CEO der ABP Induction Systems GmbH die Position des metallurgischen Maschinen- und Anlagebaus im Spannungsfeld von Transformationsanforderungen, globalen Marktentwicklungen und technologischen Lösungsansätzen.
VDMA Metallurgy sieht Handelshemmnisse kritisch
Ausgehend von den sich derzeit abzeichnenden Entwicklungen der internationalen Wirtschaftsräume sowie des Energiemarktes einschließlich Wasserstoffwirtschaft beleuchtete der Vortrag die zur Verfügung stehenden technologischen Entwicklungslinien insbesondere im Bereich der industriellen Prozesswärme für die Metallerzeugung und -verarbeitung. Till Schreiter betonte: „Als exportorientierte Unternehmen brauchen wir einen freien, globalen Markt, der vom Technologiewettbewerb lebt. Handelshemmnissen können wir überhaupt nicht unterstützen“. Die Transformation sieht er als große Chance: „Beispielsweise Lifecycle-Produkte müssen künftig ‚grün‘ sein. Das kurbelt die Nachfrage nach umweltfreundlich produzierten Metallen an, wofür unsere fortschrittlichen Technologien gebraucht werden.“
Für Deutschland seien die hohen Energiepreise wohl auf absehbare Zeit ein Problem, selbst wenn erneuerbare Energien langfristig günstiger werden. „Unsere Energiepreise sind hoch, weil wir hierzulande bestimmte Energien nicht haben, die in anderen Ländern günstig zur Verfügung stehen.“ Auch würden sich die Gaspreise in Europa nicht auf das Niveau von vor der Energiekrise erholen, so seine Prognose.
Konkrete Anwendungen rücken in den Fokus
Der HÜTTENTAG legt seit jeher den Fokus auf konkrete Anwendungen für Industrie. Teilnehmende Entscheider erhalten so die Möglichkeit, sich zu informieren; ein Mehrwert für Unternehmen und Besucher ist das Ziel. Jens te Kaat, Geschäftsführer bei Kueppers Solutions, zeigte in seinem Vortrag eine solche Anwendung in der Brennertechnik.
Das Unternehmen hat einen im 3D-Druck hergestellten Wärmetauscher (Rekuperator) für Industrieofenbrenner entwickelt, der den Wirkungsgrad des Brenners erheblich verbessert. Außerdem ist dieser neue Brenner für den Mehrstoffbetrieb mit unterschiedlichen Brenngasen ausgelegt. Der Brenner kann mit Erdgas oder Wasserstoff oder einem beliebigen Mischungsverhältnis dieser Gase betrieben werden. Dabei bleibt die Flammentemperatur stabil. Vor dem Hintergrund der noch ausstehenden, ausreichenden Verfügbarkeit von Wasserstoff ein relevanter Aspekt.
Branche zeigt sich offen für Innovationen
Jens te Kaat legt sich fest: „Wenn wir die Energiewende ernst nehmen wollen, dann müssen wir an die Bestandsanlagen ran.“ Dabei ist die individuelle Einbausituation beim Kunden eine stetige Herausforderung. Dass sich die Branche offen für neue Entwicklungen zeigt, belegen dennoch diverse Anwendungsfälle. Insgesamt werden schon heute mit der vorgestellten Brennertechnik 2.000 Tonnen CO2 pro Jahr im Realbetrieb einspart, so der Geschäftsführer.
Dr. Thomas Bünger, CEO ArcelorMittal Flachstahl Deutschland, erläuterte in seiner Keynote, dass die Dekarbonisierung der Stahlherstellung zunächst technologieoffen betrachtet werde sollte. Grundsätzlich führen mehrere Wege zum Ziel, dazu zählen vermehrter Schrotteinsatz in den Prozessen, CO2-Abscheidung und -nutzung (CCSU), das Vorantreiben von Zukunftstechnologien wie direkte Elektrolyse und eine kluge Einführung der DRI-EAF-Technologie mit Erdgas und Wasserstoff.
ArcelorMittal plädiert für Technologieoffenheit
„Man kann durchaus die klassische Hochofenroute dekarbonisieren. Man muss nicht hochproduktive Anlagen abreißen und eine neue Industrie aufbauen“, so Bünger. Auch er beklagte die Tabuisierung bestimmter Technologien in Deutschland. Da CCSU-Prozesse und deren Entwicklung in Deutschland nicht als nichtfossil eingestuft werden, habe ArcelorMittal das Steelanol-Projekt, bei dem CO2 aus Abgasen abgetrennt und daraus Industrieethanol hergestellt wird, in Belgien realisiert. Neben wettbewerbsfähigen Energiepreise und einem effektiver Handelsschutz in Europa sei die zügige Etablierung grüner Leitmärkte ein weiterer Kernbaustein auf dem Weg der Transformation.
In einem Weltkonzern wie ArcelorMittal würden strategische Investitionen, die den Zeitraum der nächsten 5 bis 15 Jahre betreffen, sehr wohlüberlegt getroffen werden, sagte Bünger. Für eine Produktionsroute mit Direktreduktion und Elektrolichtbogenofen seien die Standortfaktoren im internationalen Vergleich zu bewerten.
Damit schlug er den Bogen zur Forderung nach fairen Wettbewerbsbedingungen. „Das Einzige, was im Stahlmarkt in Europa wächst, sind die Importmengen. […] Wenn wir hierzulande bei der Stahlproduktion Kosten für CO2-Emissionen zu tragen haben, müssen für Importe auch Aufschläge in gleicher Höhe tatsächlich fällig werden.“ Ähnlich Regelungen müssten angesichts der hohen Energiepreise umgesetzt werden. „Die hohen Stromkosten stellen unsere Industrie grundsätzlich infrage“, sagte Bünger.
Nadine Pungs moderierte eine lebhafte Podiumsdiskussion
Im Anschluss folgte eine Podiumsdiskussion, in der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über die Themen der Keynotes lebhaft austauschten. Dabei wurde es auch politisch, denn: Die Bundespolitik muss sich neu finden; mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 betonte Kerstin Maria Rippel, dass die kommende Bundesregierung die Themen pragmatisch umsetzen müsse. Es gelte, sich in Bezug zu anderen Ländern ehrlich zu machen. „Europa muss sein Verhältnis zu China klären“, fordert Rippel.
Jens te Kaat führt die unternehmerische Bedeutung für die Transformation an. „Es braucht mehr unternehmerischen Mut“, so der Geschäftsführer von Kueppers Solutions. Till Schreiter fügt hinzu, dass die unternehmerischen Risiken nicht unterschätzt werden dürfen; er bezieht sich auf die Gießereibranche. So hätten, laut Schreiter, die dort agierenden Unternehmen oft nur einmalig die Chance, eine Investitionsentscheidung zu treffen. Sollte eine Amortisierung ausbleiben, riskiere das Unternehmen eine Insolvenz.
Fachvortragsprogramm und Ausstellung
Am Nachmittag fanden insgesamt 27 Fachvorträge in drei parallel organisierten Zügen statt. Gegliedert waren die Sessions waren in die Themenbereiche „Werkstoffe und intelligente Stoffkreisläufe“, „Wasserstoff, Energie und Infrastruktur“, „Künstliche Intelligenz für die Stahlbranche“, „Künstliche Intelligenz in Messtechnik und der Automation“, „Transformation der Stahl-Prozesskette“ sowie „Arbeitssicherheit und Logistik in der Stahlbranche“.
Ergänzt wurde der HÜTTENTAG 2024 mit einer Fachexpo, an der sich 26 Unternehmen als Aussteller und Sponsoren beteiligten. Hier wurden nicht nur Produkte präsentiert, sondern ausführlich mit den Teilnehmern über konkrete Lösungen für die Aufgaben in den Unternehmen diskutiert.
Frische Ideen junger Talente geben Impulse
Die Transformation hat auch eine soziale Komponente. Dies bedeutet, dass erfahrene Mitarbeiter für neue Technologien begeistert werden müssen, während frische Ideen von Berufseinsteigern sinnvoll unterstützen. Adrian Plieth, Student der Materialwissenschaften an der RWTH Aachen, appellierte stellvertretend für weitere anwesende Studierende, das Gespräch mit dem Nachwuchs zu suchen. Er selbst ist ein gutes Beispiel für einen gewinnbringenden Austausch. Aktuell engagiert er sich im Rahmen seiner Masterarbeit bei einem Stahlunternehmen. Die Möglichkeit dazu hatte sich ihm beim HÜTTENTAG 2023 eröffnet.
Kooperation zum HÜTTENTAG verlängert
Der HÜTTENTAG steht unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters der Stadt Essen, Thomas Kufen. Die Veranstaltung wurde erstmals 2019 von der DVS Media GmbH als Organisator und der Messe Essen GmbH als Kooperationspartner gemeinsam ausgerichtet. Sie versteht sich als Branchentreff der Stahlindustrie, daher richtet sich der HÜTTENTAG nicht nur an Experten, sondern an alle Interessierten aus der Branche. Im Zuge des HÜTTENTAGs 2024 haben Oliver P. Kuhrt, Geschäftsführer der Messe Essen GmbH, und Dirk Sieben, Geschäftsführer der DVS Media GmbH, eine Verlängerung ihrer Zusammenarbeit beim HÜTTENTAG für zwei weitere Jahre beschlossen. Der nächste HÜTTENTAG wird am 13.11.2025 stattfinden, der HÜTTENTAG 2026 ist für den 12.11.2026 geplant.
Weitere Informationen über den HÜTTENTAG finden Sie hier:
(Quelle: Pressemitteilung der DVS Media GmbH)
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