Rapid Prototyping: Baumaschinen im Software-Test
Die Entwicklung neuer Produktgenerationen bei Nutzfahrzeugen oder Baumaschinen ist aufwendig. Mit „Hardware-in-the-Loop“ bieten Forschende der Fraunhofer-Gesellschaft eine Möglichkeit, Maschinen in einer Software-Simulation nachzubilden und virtuell zu testen. Die Herstellung neuer Maschinen wird dadurch schneller und preisgünstiger. Mit der Technik lassen sich auch Störfälle und kritische Grenzsituationen ohne Gefahr für Mensch oder Maschine testen.
Baumaschinen gehören zum Straßenbild einer jeden Stadt. Sie heben Erde für U-Bahn-Schächte aus, planieren Straßen und hieven tonnenschwere Lasten in schwindelerregende Höhen. Um diese Aufgaben zu bewältigen, müssen sie nicht nur robust und leistungsstark sein, sondern auch extrem zuverlässig, präzise und sicher. Ein Turmdrehkran ist in der Lage, mitten in der dicht besiedelten Stadt einen tonnenschweren Werkzeugcontainer hunderte Meter hoch zu hieven, um diesen zentimetergenau auf der Plattform eines Hochhauses abzulegen. Dementsprechend aufwendig und teuer ist die Entwicklung solcher Maschinen und das Testen der Prototypen.
Unterstützung bietet das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern mit einem Teststand der besonderen Art. Er basiert auf einem HiL-Simulator (Hardware-in-the-Loop). Damit lassen sich im Prinzip jede beliebige Maschine und deren Steuerung gekoppelt mit einer Software-Simulation virtuell testen. In der Autoindustrie ist HiL bei der Entwicklung neuer Modelle bereits Standard. Bei Nutzfahrzeugen aber noch nicht. Die Fraunhofer-Forschenden hatten allerdings schon vor Jahren erkannt, dass die Nutzfahrzeugbranche durch immer kürzere Innovationszyklen, die zunehmend modulare Bauweise und die Digitalisierung der Steuerungstechnik einen ganz ähnlichen Bedarf hat und das Testkonzept entsprechend übertragen.
„Mit unserem HiL-Simulator sind wir in der Lage, Baumaschinen aller Art zu testen, beispielsweise unterschiedliche Kran-Typen oder auch Betonpumpen. So helfen wir bei der Optimierung der Prototypen“, erklärt Projektleiter Dr. Christian Salzig. Eine reale Testumgebung ist nicht mehr nötig.
Digitaler Zwilling der Baumaschine im Simulator
Im ersten Schritt wird die zu testende Maschine als Software Modell nachgebaut, in die alle technischen Spezifikationen einfließen. Dazu gehören die Abmessungen, die Leistungsdaten der Motoren, die Stärke der Stützstrukturen, die Gewichtsverteilung, die Winkel beim Bewegen der Ausleger, deren Länge und vieles mehr. Gleichzeitig sind die physikalischen Gesetze der Mechanik, Hydraulik und Elektronik wie Kräfte, Drücke oder Steuersignale als mathematische Gleichungen in die Software implementiert. Auf diese Weise entsteht ein Digitaler Zwilling.
Im nächsten Schritt wird der Simulator mit dem digitalen Zwilling an die elektronischen Steuereinheiten angeschlossen, die die Baumaschine im Betrieb kontrollieren und steuern. Eine Fachkraft bedient die zahlreichen Regler und Joysticks, die wiederum mit den Steuereinheiten verbunden sind. Auf einem Display stellt eine animierte 3D-Grafik alle Bewegungen der Maschine dar.
Der HiL-Simulator-Test zeigt zunächst, wie präzise Steuereinheit und Maschine zusammenwirken, und wie feinfühlig Bedienelemente wie Joysticks agieren. Moderne Baumaschinen sind mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet. Sie registrieren Werte wie Drehmoment und Beschleunigung der Ausleger, Druck, Gewicht, das an Seilzügen zieht, oder die Neigung des Bodens unter der Maschine. Auch hier zeigt die Simulation, ob die Kommunikation zwischen Maschine und Steuereinheit auf Basis der Sensordaten präzise und verzögerungsfrei funktioniert. Technische Störungen lassen sich ebenfalls simulieren – etwa, was passiert, wenn an einer Gelenkstelle ein Kabel bricht oder die Hydraulik des Hebeelements Druck verliert.
Sicherheit und Grenzsituationen
Entscheidend beim Betrieb von Nutzfahrzeugen und Baumaschinen ist die Sicherheit. „Die Hersteller wollen wissen, was ihre Maschine in Grenzbereichen leistet und ab wann es kritisch wird“, sagt Christian Salzig. Der Simulator testet beispielsweise, was passiert, wenn eine Last anfängt zu pendeln oder Flüssigkeiten in einem Transportbehälter hin und her schwappen. Auch ein instabiler oder geneigter Untergrund, auf dem die Baumaschine steht, gehört zum Test-Parcours. Teleskopbühnen müssen beispielsweise in beengten Verhältnissen ihre Abstützungen platzieren. Mit den Hardware-inthe- Loop-Tests sehen die Produktentwickler, ab welchem Neigungswinkel der Digitale Zwilling instabil wird oder sogar umkippt.
In einer realen Umgebung mit echten Maschinen wären solche Tests teuer und riskant. Der HiL-Simulator erledigt dies völlig gefahrlos für den Menschen und es werden auch keine teuren Prototypen beschädigt oder gar zerstört.
Rapid Prototyping für Baumaschinen
Mit dem Teststand am Fraunhofer ITWM können die Hersteller die Praxistauglichkeit und Leistung ihrer Maschine schon in einem frühen Stadium der Entwicklung prüfen, nachbessern und optimieren. Alle Funktions- und Belastungstests können bereits in der Konzeptphase erfolgen und nicht erst, wenn der erste Prototyp fertig ist. Das Verfahren ist auch als Rapid Prototyping bekannt. Nutzfahrzeug-Hersteller sind somit in der Lage, neue Produktgenerationen schneller und zu geringeren Entwicklungskosten auf den Markt zu bringen.
Fraunhofer-Experte Salzig weist noch auf einen weiteren Vorteil hin: „Die Hersteller wollen natürlich bei jeder neuen Produktgeneration Material einsparen, den Energieverbrauch senken, neue Funktionen integrieren und die Maschinen kleiner und mobiler machen.“ Genau solche Verbesserungen macht Hardware-in-the-Loop möglich. In der Simulation finden die Expertinnen und Experten heraus, ob eine bestimmte gewünschte Eigenschaft oder Tragfähigkeit auch mit weniger Materialaufwand zu realisieren wäre oder ob dieselbe Leistung und Funktionalität nicht auch mit einer kleineren Maschine erreichbar wäre. Ein besonders kompakter Mobilkran könnte dann beispielsweise an Standorten operieren, die für das Vorgängermodell zu eng sind. Er würde trotzdem die gleichen Lasten heben und dieselbe Höhe erreichen.
Bei der komplexen Testprozedur halten die Expertinnen und Experten des Fraunhofer ITWM Kontakt zu den Herstellern. „Es ist nicht so, dass wir einen Auftrag bekommen, dann alleine testen und nach ein paar Monaten einen Testbericht schreiben. Wir arbeiten vielmehr während der gesamten Testreihe eng zusammen und diskutieren gemeinsam die nächsten Schritte“, bestätigt Christian Salzig.
Aktuell plant das Institut schon die nächste Erweiterung: die Integration der 5G-Funktechnik. Diese wird in den nächsten Jahren eine immer größere Rolle bei der drahtlosen Steuerung von Maschinen und Geräten in der Industrie spielen. Derzeit arbeitet das Fraunhofer ITWM an einer Schnittstelle, die den HiL-Simulator mit 5G-Sende- und Empfangsmodulen verbindet.
(Quelle: Presseinformation des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM)
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