IN4climate.NRW erarbeitet Strategie für die industrielle Wärmewende
Ob Schmelzen, Schmieden, Brennen oder Trocknen – die Herstellung wichtiger Grundstoffe wie Metall, Glas, Papier oder Zement erfordert hohe Temperaturen. Damit macht Prozesswärme rund zwei Drittel des Energiebedarfs der deutschen Industrie aus. Wie die Umstellung auf eine klimaneutrale Versorgung mit Blick auf die Klimaziele möglichst zeitnah gelingen kann, zeigt das von der Landesinitiative IN4climate.NRW veröffentlichte Diskussionspapier „Industriewärme klimaneutral: Strategien und Voraussetzungen für die Transformation“. Inhaltlich unterstützt wird das Strategiepapier von 17 Unternehmen und Verbänden der energieintensiven Branchen sowie renommierten Forschungspartnern des Think Tanks aus NRW.
Welche Technologien eignen sich für welche Branche? Wie könnten bestehende Hemmnisse überwunden werden? Das Papier fasst übersichtlich verschiedene Lösungsansätze für die energieintensiven Branchen zusammen und gibt Impulse, wie eine gesamtsystemische Herangehensweise aussehen kann. „Die Lösungen sind je nach Branche und Produktionsprozess zwar unterschiedlich, aber allen ist gemeinsam: Sie benötigen verlässliche und bezahlbare Erneuerbare Energien“, so Samir Khayat, Geschäftsführer der Initiative IN4climate.NRW.
Aktuell basiert die Erzeugung von Prozesswärme noch fast ausschließlich auf fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas. Der Ausbau der Erneuerbaren zur Wärmeerzeugung stagniert seit Jahren bei einem Anteil von lediglich rund 15 Prozent (zum Vergleich: Anteil EE am Strombedarf zirca 45 Prozent). „Für das Erreichen der Klimaziele der Bundesregierung ist die Wärmewende in der Industrie, also die Energiewende im Wärmesektor, aber essenziell. Damit sie gelingen kann und bereits vorhandene Lösungstechnologien im industriellen Maßstab genutzt werden können, müssen entsprechende politische Weichen jetzt unbedingt gestellt werden“, betont Khayat.
Vier-Stufen-Modell beschreibt Prioritäten der Transformation
Das für diese Transformation von den Autorinnen und Autoren vorgeschlagene Vier-Stufen-Modell sortiert die wichtigsten Handlungsoptionen auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung stufenweise entsprechend ihres Wirkungsgrads:
- Stufe 1: Steigerung der Effizienz, z. B. über interne und externe Nutzung von Abwärme
- Stufe 2: Erschließung regenerativer Wärmequellen wie Solar- oder Geother-mie, wo es Standort und Temperaturniveau ermöglichen
- Stufe 3: Nutzung erneuerbaren Stroms für die Wärmeerzeugung, z. B. mit Elektrodenkesseln zur Prozessdampferzeugung
- Stufe 4: Einsatz alternativer Energieträger wie z. B. grüner Wasserstoff oder Biomethan für Prozesse, die unter anderem besonders hohe Temperaturen oder spezielle Prozessbedingungen erfordern und daher keine Alternativen zulassen
Als größte Herausforderungen für die bislang stagnierende Wärmewende im Industriesektor sehen die Verfasser die wechselseitigen Abhängigkeiten von Unternehmen, übergeordneten Netzplanungen und politischen Leitplanken im Zusammenspiel mit der Entwicklung passender Technologien im Industriemaßstab. Sie definieren Lösungsvorschläge mit entsprechenden Schritten und Strategien für die beteiligten Stakeholder in der Politik, bei Übertragungsnetzbetreibern, Unternehmen und in der Forschung.
Erarbeitet wurde das Papier innerhalb der Arbeitsgruppe Wärme bei IN4climate.NRW. Mitgetragen wird es von den Unternehmen Covestro, Currenta, GMH Gruppe, Kabel Premium Pulp & Paper, Lanxess, RHM, Saint-Gobain, Speira, Spenner und Trimet Aluminium sowie den Forschungseinrichtungen Fraunhofer UMSICHT, Institut der deutschen Wirtschaft, Wuppertal Institut, RWTH Aachen (Lehrstuhl für Technische Ther-modynamik), VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI), dem Bundesverband der Glasin-dustrie sowie der Wirtschaftsvereinigung Metalle.
Die Kernbotschaften des Diskussionspapiers
- Die industrielle Wärmewende darf bei der Energiewende nicht vernachlässigt werden. Die Wärmewende auf Basis erneuerbarer Energieträger muss jetzt berücksichtigt werden. Denn nur so können die deutschen Ziele zur Minderung der Treibhausgasemis-sionen (THG) für das Jahr 2030 gegenüber dem Jahr 1990 erreicht werden – und damit zukünftig Klimaneutralität.
- Die Veränderungen für die Wärmewende sind komplex und müssen gesamtsystemisch, d. h. sektor-, stakeholder- und branchenübergreifend, angegangen werden.
- Effizienzsteigerungen sind ein wichtiger Baustein. Wärme, die gar nicht erst produziert werden muss, hat die beste Treibhausgasbilanz. Entsprechende Maßnahmen sind prioritär zu betrachten und müssen durch geeignete Rahmenbedingungen und Anreize flankiert werden. Für eine Priorisierung beim Energieeinsatz kann das in diesem Papier dargestellte Vier-Stufen-Modell eine gute Hilfestellung leisten.
- Unter den erneuerbaren Wärmequellen kann Tiefengeothermie für einige Branchen und insbesondere für Anwendungen auf niedrigerem Temperaturniveau einen wichtigen Beitrag als grundlastfähige Wärmequelle leisten. Hierzu müssen die natürlichen Potenziale in NRW stärker erkundet und erschlossen werden.
- Der Bedarf industrieller Hochtemperaturprozesse kann in NRW nicht allein durch lokale erneuerbare Wärmequellen gedeckt werden. Eine ausreichende Bereitstellung von erneuerbar erzeugtem Strom, Gas und anderer biogener Brennstoffe ist daher für eine klimaneutrale Wärmeversorgung essenziell.
- Der lokale Ausbau der Erneuerbaren Energien muss beschleunigt werden
- Bei der Netzplanung sind industrielle Bedarfe mit einem ausreichenden Planungs- horizont zu berücksichtigen (z. B. Netzentwicklungsplanung Strom und Gas bis 2045/2050).
- Unternehmen brauchen Planungssicherheit hinsichtlich der Verfügbarkeit THG-armer Energieträger in Bezug auf Menge und Infrastruktur sowie deren Kostenentwicklung. Nur so können Technologieoptionen zur klimaneutralen Wärmeversorgung bewertet und umgesetzt werden.
- Technologien müssen (weiter-)entwickelt werden, insbesondere hinsichtlich einer vollständigen oder teilweisen Elektrifizierung sowie des Einsatzes von grünem Wasserstoff, biogenen oder anderen alternativen Brennstoffen. Ihre industrielle Anwendung sollte durch Förder- und Pilotprojekte beschleunigt werden. Laufende Forschungsprojekte müssen eng mit der Industrie verknüpft sein.
- Industrielle Wärmeverbraucher können durch Sektorenkopplung einen wichtigen Beitrag zu einer verbesserten Netzauslastung und zur Stabilisierung der Stromnetze bei zunehmendem Anteil Erneuerbarer Energien leisten. Um Energiedienstleistungen zu ermöglichen und ökonomisch attraktiv zu gestalten, ist eine Nachjustierung der Abga-ben und Umlagen auf Strom und Netze notwendig.
- Die weitere Entwicklung und Markteinführung von (Hochtemperatur-)Wärmespeichern ist ein Schlüsselelement, um erneuerbare Energiepotenziale besser auszuschöpfen, Systemkosten zu minimieren und Systemdienstleistungen zu erbringen.
Das vollständige Diskussionspapier können Sie sich hier im PDF-Format herunterladen:
Schlagworte
BrennenMetallNachhaltigkeitSchmelzenSchmiedenStahl