Zwei Drittel der deutschen Unternehmen passen Lieferketten wegen Krisen an
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie und des russischen Kriegs gegen die Ukraine haben dazu geführt, dass deutsche Unternehmen sowohl ihre Lieferketten als auch ihre internationalen Standorte kritisch überprüfen. Das geht aus dem AHK World Business Outlook Herbst 2022 unter 3.100 deutschen Unternehmensstandorten in aller Welt hervor.
Demnach reagiert die international aktive deutsche Wirtschaft mit sehr konkreten Maßnahmen auf die geopolitischen Herausforderungen. Jedes dritte Unternehmen (35 Prozent) hat bereits neue oder zusätzliche Lieferanten für benötigte Rohstoffe, Vorprodukte oder Waren gefunden. Weitere 30 Prozent sind noch auf der Suche. Die Unternehmen erweitern ihr Lieferantennetzwerk unabhängig von der Region, in der sie international aktiv sind. „Die deutsche Wirtschaft zeigt sich angesichts der enormen geopolitischen Risiken als erstaunlich anpassungs- und widerstandsfähig. Von Schockstarre der Wirtschaft keine Spur! Mit Hochdruck suchen die Unternehmen neue Lieferanten beziehungsweise versuchen die bestehenden zunehmend zu diversifizieren“, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier.
Die Erhöhung der Resilienz in ihren globalen Lieferketten ist ein zentrales Motiv der Lieferanten-Suche: So geben drei von fünf Unternehmen (62 Prozent) an, das Risiko von Ausfällen minimieren zu wollen. Dieser Wert wird nur überboten von dem Wunsch, die Kosten zu optimieren (64 Prozent). Aber auch ein einfacherer Zugang zu Rohstoffen beziehungsweise Vorleistungen (33 Prozent) sowie die Vermeidung von Handelshemmnissen oder die Erfüllung von Local-Content-Vorschriften (23 Prozent) spielen eine Rolle. Jedes achte Unternehmen (zwölf Prozent) nimmt die Einhaltung europäischer Nachhaltigkeitspflichten bei der Lieferantensuche in den Blick. Insgesamt haben sich die Lieferkettenstörungen zwar verbessert, sie sind aber noch längst nicht überwunden: 42 Prozent der Unternehmen geben Störungen in Lieferketten als das TOP-Geschäftsrisiko für die kommenden Monate an.
Bei der Suche nach neuen oder zusätzlichen Lieferanten spielt die geographische Nähe eine herausragende Rolle. Das Lieferantennetzwerk wird im gleichen Land des Unternehmensstandorts oder innerhalb der Region (Nachbarländer) aufgebaut. Dahinter kann die Bestrebung der Unternehmen stehen, möglichst kurze Lieferwege in ihren Lieferketten zu haben, um Ausfälle durch Transportschwierigkeiten sowie hohe und gestiegene Transportkosten zu vermeiden. Mit knapp Dreiviertel der Unternehmen (73 Prozent) in Ost- und Südosteuropa (ohne EU) sowie in der Türkei und in Russland suchen dort besonders häufig Unternehmen lokal beziehungsweise in dem Land nach neuen Lieferanten, in dem sie bereits tätig sind. In der Eurozone ist es hingegen nur jedes zweite Unternehmen, das lokal nach neuen Lieferanten sucht.
Auch in Greater China sucht nur rund jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) lokal, 61 Prozent hingegen in Asien-Pazifik (ohne Greater China). Die Unternehmen verfolgen damit eine „China+1“ Strategie, sprich neben China mindestens einen Lieferanten aus einem anderen Land in das Netzwerk aufzunehmen. „Die Unternehmen bleiben weiterhin auf ihrem Kurs der Globalisierung, fokussieren sich aber auf eine Diversifizierung: Neben bewährten, aber zum Teil schwierigen Märkten, bieten andere Länder zunehmend attraktive Konditionen und werden so zu echten Alternativen“, so Treier.
Die geopolitischen Herausforderungen veranlassen einen erheblichen Anteil der Unternehmen zu Standortverlagerungen. Jedes zehnte Unternehmen (zehn Prozent) hat bereits seine Produktion, Teile davon oder ganze Niederlassungen an neue Standorte verlagert, beziehungsweise dort neu aufgebaut. Weitere 16 Prozent befinden sich dazu noch in der Planung. „Dass jedes vierte Unternehmen im Ausland Verlagerungen plant oder umgesetzt hat, ist angesichts des Investitions- und Planungsaufwands, der mit dem Aufbau neuer Standorte einhergeht, ein hoher Anteil an Produktionsumschichtungen“, ordnet Treier die Ergebnisse ein. „Das zeigt, wie konkret die Unternehmen an der Resilienz ihrer internationalen Lieferketten arbeiten und das zeigt auch, wie gewaltig die Reorganisation der Globalisierung derzeit von statten geht.“ Häufiger als im weltweiten Durchschnitt planen Unternehmen in Greater China diesen Schritt: Dort haben bereits 13 Prozent verlagert, 28 Prozent befinden sich dazu noch in der Planung. Auch in Asien/Pazifik (ohne Greater China) und in Afrika, Nah- und Mittelost verlagern die Unternehmen häufiger als in anderen Regionen.
Zentrale Gründe für die Verlagerung sind ähnlich wie bei der Lieferantensuche: Markterschließung (52 Prozent), Kostenoptimierung (47 Prozent) und die Diversifizierung beziehungsweise Risiko-Minimierung bei Ausfällen (38 Prozent). Außerdem sollen mit neuen Standorten Handelshemmnissen vermieden beziehungsweise Local-Content-Vorschriften (21 Prozent) erfüllt werden, ein einfacherer Zugang zu Rohstoffen oder Vorleistungen (21 Prozent) gewonnen und schließlich auch die Einhaltung europäischer Nachhaltigkeitspflichten (10 Prozent) in den Blick genommen werden.
Bei der Suche nach neuen Standorten, an die Produktion oder Niederlassungen verlagert werden sollen, spielt die geographische Nähe zum aktuellen Standort ebenso eine herausragende Rolle. Allerdings ist die Fokussierung auf das aktuelle Gastland nicht so stark ausgeprägt wie bei der Lieferantensuche. Am häufigsten suchen Unternehmen aus EU-Staaten außerhalb des Währungsraums (sowie Schweiz, Norwegen, UK) lokal nach neuen Standorten. Seltener als in anderen Regionen suchen Unternehmen aus Greater China lokal neue Standorte. Wie bei der Lieferantensuche, fokussieren sie sich überwiegend auf die Region Asien-Pazifik (ohne Greater China) – ein weiteres Indiz der „China+1“ Strategie. Aber auch das Thema Re-Shoring bzw. Near-Shoring in die EU oder in dessen geographische Nähe ist weiterhin ein Trend bei der internationalen Kapitalmobilität deutscher Unternehmen.
Neben der Überprüfung von Lieferketten und Standorten ergreifen die Unternehmen darüber hinaus noch weitere Maßnahmen zur Stabilisierung ihrer Geschäfte: 41 Prozent geben an, den hohen Kostendruck bereits an die Kunden weitergegeben zu haben, weitere 34 Prozent planen noch Preiserhöhungen. „Schon während der Corona-Pandemie kam es angesichts der Lieferkettenstörungen und einer Angebotsknappheit zu Preissteigerungen. Diese wurden durch den Krieg in der Ukraine und die darauffolgende Preisexplosion auf dem Energiemarkt nochmals verstärkt“, so Treier. „Jetzt kommt vielerorts auch noch eine allgemein hohe Inflationsrate hinzu und damit die Sorge vor höheren Arbeitskosten. Viele Unternehmen sehen sich dazu gezwungen ihre Kosten an die Kunden weiterzugeben“, bestätigt der Außenwirtschaftschef. Inflation bleibt damit auch 2023 weltweit ein prägendes Thema.
(Quelle: Presseinformation des DIHK – Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V.)
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