Award
Die verwendete numerische Punktewolke ist dazu in der Lage, sich flexibel an bewegliche Geometrien anzupassen. So können komplexe Abläufe wie z. B. Wasserdurchfahrten zeitsparend simuliert werden. - © Fraunhofer ITWM / iStock
19.06.2024

Ausgezeichnete Simulationsmethode

Ausgezeichnete Simulationsmethode

Im Rahmen der Fraunhofer-Jahrestagung 2024, die unter dem Motto „Fraunhofer: Innovation seit 75 Jahren“ stand, wurden am 12. Juni 2024 die Menschen hinter vier herausragenden Forschungs-Projekten gewürdigt. Auch das Simulationstool MESHFREE wurde mit einem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2024 ausgezeichnet.

Simulationsmethoden – komplexe Prozesse zeitsparend abbilden

Ob im Automotive-Bereich oder in der Produktion: Simulationen und Digitale Zwillinge sind für viele Unternehmen unverzichtbar. Weil hochdynamische Prozesse mit herkömmlicher Software oft nicht zufriedenstellend abgebildet werden können, haben Forschende am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM mit dem Tool MESHFREE eine Lösung entwickelt, die ohne starres Rechengitter arbeitet und in der Lage ist, komplexe Abläufe mit großer Zeitersparnis und damit kostengünstig zu simulieren. Dafür werden sie mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2024 ausgezeichnet.

Starre Vorgaben passen selten zu agilen Prozessen – was für Organisationen zutrifft, gilt auch für Simulationsmethoden. Sollen komplexe Vorgänge wie zum Beispiel Aquaplaning oder die Zerspanung von Metall virtuell abgebildet werden, lassen sich vorab nicht alle Bewegungen der Komponenten vorhersehen und in einem passenden Rechengitter, wie es für Simulationen üblicherweise verwendet wird, anlegen.

Ausgezeichnet mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2024: Dr. Jörg Kuhnert und Dr. Isabel Michel vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM entwickelten das Simulationstool MESHFREE. - © Piotr Banczerowski
Ausgezeichnet mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2024: Dr. Jörg Kuhnert und Dr. Isabel Michel vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM entwickelten das Simulationstool MESHFREE. © Piotr Banczerowski
MESHFREE ersetzt den realen Versuch

Vor dieser Herausforderung stand vor über 20 Jahren eine Forschungsgruppe am Fraunhofer ITWM. „Unsere allererste Aufgabe im Projektteam bestand darin, die Entfaltung eines Airbags während des Fahrzeug-Crashs zu simulieren“, berichtet Dr. Jörg Kuhnert, bereits damals Teil der Gruppe. „Bis auf real durchgeführte, kostenintensive Crashtests gab es damals keine Möglichkeit, die Sicherheit von Neuentwicklungen in diesem Bereich schnell zu überprüfen.“ Denn: Je mehr Objekte sich in einer Situation bewegen und miteinander interagieren, desto schwieriger ist es, sie unter vertretbarem Aufwand mit klassischen Simulationsmethoden zuverlässig abzubilden.

Basierend auf der Dissertation von Jörg Kuhnert entwickelte das Team – seit 2012 auch unter Mitarbeit von Dr. Isabel Michel im Schwerpunkt Freistrahlturbinen – daher den innovativen gitterfreien Ansatz. Dieser ermöglicht es teilweise erstmals, besonders komplexe und dynamische Situationen in der Simulation zu zeigen. Sämtliche seither erzielten Forschungsergebnisse flossen in das Software-Tool MESHFREE ein. Das Resultat ist ein Simulations-Tool mit einem echten Alleinstellungsmerkmal: Weltweit macht kein anderes Simulationswerkzeug die Generalisierte Finite-Differenzen-Methode (GFDM) industriell nutzbar.

Die verwendete numerische Punktewolke ist dazu in der Lage, sich flexibel an bewegliche Geometrien anzupassen. So können komplexe Abläufe wie z. B. Wasserdurchfahrten zeitsparend simuliert werden. - © Fraunhofer ITWM / iStock
Die verwendete numerische Punktewolke ist dazu in der Lage, sich flexibel an bewegliche Geometrien anzupassen. So können komplexe Abläufe wie z. B. Wasserdurchfahrten zeitsparend simuliert werden. © Fraunhofer ITWM / iStock
Flexible Methode für dynamische Prozesse

Klassischerweise kommt bei Simulationen die Finite-Elemente-Methode zum Einsatz: Ingenieurinnen und Ingenieure konstruieren dafür ein Gitternetz passend für die jeweilige Geometrie und berechnen darauf aufbauend die Veränderungen in jedem einzelnen Element. Bereits das Aufsetzen der Gitterstruktur ist sehr zeitaufwändig; auch während der Simulation muss sie immer wieder angepasst werden. Die Software MESHFREE kombiniert dagegen die Generalisierte Finite-Differenzen-Methode zur Lösung der Erhaltungsgleichungen für Masse, Impuls und Energie mit effizienten Algorithmen zur Lösung linearer Gleichungssysteme, die vom Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI mitentwickelt wurden – ein gewaltiger Vorteil, denn die verwendete numerische Punktewolke ist dazu in der Lage, sich flexibel an bewegliche Geometrien anzupassen. Aufwändige Nachkorrekturen im Rechengitter entfallen. Für ihre Entwicklung, die reale Versuche ersetzen kann, erhalten Dr. Jörg Kuhnert und Dr. Isabel Michel den Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2024.

Von Automotive bis Verfahrenstechnik – und darüber hinaus

Die ausgezeichnete Methodik lässt sich für eine große Bandbreite von Anwendungen einsetzen. Ein Schwerpunkt liegt aktuell im Automotive-Bereich: Neben der Airbag-Simulation konnten die Forschenden ihre Industriepartner bislang unter anderem mit Modellierungen von Wasserdurchfahrten oder des Verhaltens von Fahrzeugen auf Sand oder Kies unterstützen. In der Verfahrenstechnik half MESHFREE Unternehmen dabei, die Prozessparameter bei der Verarbeitung von Glasschmelze sowie der Herstellung von Kunststoffteilen zu optimieren.

Grundsätzlich lässt sich die Methode überall dort nutzen, wo Messungen oder Versuche ersetzt werden sollen oder nur schlecht bis gar nicht funktionieren. Isabel Michel fasst zusammen: „Wir sind nicht fixiert auf die klassischen Anwendungsfälle der numerischen Strömungsmechanik. MESHFREE kann viel mehr: Das Tool ist bewusst generisch gehalten.“ Die Software besitzt also großes Potenzial, in Zukunft noch in vielen weiteren Anwendungsfeldern Kosten, Zeit und Material zu sparen.

(Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft)

Schlagworte

AutomotiveDigitaler ZwillingSimulationSoftware

Verwandte Artikel

Zusammensetzungen und Eigenschaften präzise, schnell und kostengünstig erfassen, um passende Materialkombinationen in Zukunft zum Beispiel aus Sekundärmaterialien zu finden – ein digitales Ökosystem für eine resiliente und nachhaltige Versorgung mit Funktionswerkstoffen erforscht das Fraunhofer-Leitprojekt ORCHESTER unter Mitwirkung des Fraunhofer IWS.
19.12.2024

Werkstoff- und Prozesslösungen für Herausforderungen bei Rohstoffengpässen

Das Fraunhofer IWS beteiligt sich an einem neuen Fraunhofer-Leitprojekt. Ziel ist es, die Versorgung mit Werkstoffen für die Energiewende zu sichern.

Energiewende Kobalt Lithium Materialengpässe Recycling Rohstoffe Rohstoffmangel Sekundärrohstoffe Seltene Erden Simulation
Mehr erfahren
19.12.2024

5 Schritte zu einer effizienteren Planung von Rohrleitungssystemen

Wie innovative Planungsmethoden die Effizienz und Zuverlässigkeit von Rohrleitungssystemen optimieren und somit einen reibungslosen Betrieb sicherstellen.

Konstruktion Planung Planungstools Rohrleitungen Rohrleitungsbau Rohrleitungssysteme Software
Mehr erfahren
Mit dem neuen Import-Assistenten in Lantek Expert ist es möglich, nach Layern in DXF/DWG-Dateien zu filtern und nicht benötigte Geometrien während des Imports zu löschen.
04.12.2024

Mehr Konnektivität und tiefere Echtzeit-Insights in der Blechfertigung

Lantek bringt die Version 44 seiner Software-Suite auf den Markt. Das Update soll Produktionsprozesse mit dem Konzept „Connected. Live. Smart.“ revolutionieren.

Blechfertigung Profilschneiden Rohrschneiden Schneiden Software
Mehr erfahren
Rückblick auf die CADFEM Conference 2024 in Darmstadt mit über 700 Teilnehmern - hier Blick ins Plenum.
17.11.2024

Neue internationale Conference Series zu Digital Engineering

Um sich über die virtuelle Simulation auszutauschen, bietet CADFEM in 2025 eine neue Conference Series an, bei der es unter anderem um Expertenwissen und Best-Practice-Be...

Digital Engineering Digitalisierung Simulation Software
Mehr erfahren
mosaixx, die offene, kollaborative Cloud-Plattform für Industrial Software-as-a-Service (SaaS), war das Highlight des Events.
13.11.2024

KUKA zeigt nahtlose Digitalisierung globaler Industrielandschaften

Nach Gründung der neuen Digitalsparte zeigte KUKA bei seinem ersten Software- und Digital-Event unter dem Motto „KUKA digital_powering your business” sein umfassendes Por...

Automation Automatisierung Digitalisierung Robotik Software Vernetzung
Mehr erfahren