Warum Lehrlinge nicht zum Ausbildungsbeginn erscheinen
Das Risiko eines Untertauchens von Bewerberinnen und Bewerbern während des Bewerbungsprozesses – ein in der angelsächsischen Welt als „Ghosting“ oder „no-call no show“ bezeichnetes Verhalten – ist aktuell massiver denn je. Im Wall Street Journal wird davon berichtet, dass ca. 20 Prozent der neuen Mitarbeiter nicht zum Arbeitsbeginn erscheinen. Auch in Deutschland ist dieses Phänomen laut Experten immer häufiger anzutreffen – selbst bereits im Rahmen von Ausbildungsverhältnissen, die Jugendliche trotz Abschluss eines Ausbildungsvertrags nicht antreten, ohne dies vorher anzukündigen. Da das Ausbildungsjahr zu diesem Zeitpunkt gerade beginnt, macht es die fehlende Absage oftmals unmöglich, eine adäquate Neubesetzung zu finden.
Hierzulande gibt es bislang praktisch keine empirische Evidenz über dieses Phänomen. Die vom Ludwig-Fröhler-Institut durchgeführte Studie untersucht deshalb erstmals auf Basis von prozessproduzierten Daten zu Ausbildungsverhältnissen aus der Lehrlingsrolle der Handwerkskammer der Pfalz im Zeitraum 2015 bis 2017, welche Gruppen von Bewerbern und welche Handwerksbetriebstypen besonders stark von Ghosting betroffen sind. Der Beitrag zeigt erstmals das Ausmaß des Problems für Handwerksbetriebe, argumentiert auf Basis theoretischer Überlegungen und der empirischen Analyse, welche Gründe für Ghosting verantwortlich sein könnten und diskutiert anschließend, welche Maßnahmen Betriebe dagegen ergreifen können.
Mit zwei bis drei Prozent der Neuabschlüsse ist das Ghosting-Problem im Vergleich zu regulären Ausbildungsvertragslösungen, die im Handwerk bei ca. 35 Prozent liegen (BIBB 2021), gering. Allerdings zeigen die Analysen des Datensatzes, dass knapp fünf Prozent der Unternehmen, die von Ghosting betroffen sind, gleichzeitig zum ersten Mal ausbilden. Zudem verlieren 40 Prozent der von Nichtantritten betroffenen Unternehmen dadurch ihren einzigen Auszubildenden. In den Daten findet sich des Weiteren, dass Ghosting u. a. verstärkt bei Kleinstbetrieben mit bis zu neun Mitarbeitern auftritt. Hierbei handelt es sich also genau um jene Gruppe, die lt. BIBB im Hinblick auf die Ausbildungsbetriebsquote im Vergleich der Jahre 2007 bis 2020 besonders rückläufig ist (West: -6,6 Prozentpunkte; Ost: -4,8 Prozentpunkte) (BIBB 2022). Insgesamt ist anzunehmen, dass Ghosting mit einer starken emotionalen Involviertheit der Personalverantwortlichen einhergeht und eine zukünftige Ausbildungsbeteiligung dieser Betriebe dadurch noch stärker gefährdet wird.
Die Studie liefert viele Hinweise für Gründe von Ghosting. Unter anderem zeigt sich, dass Ghosting mit einer höheren Wahrscheinlichkeit bei älteren Bewerbern mit keinem bzw. niedrigerem Schulabschluss sowie bei Bewerbern mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft auf. Eine eingehende Prüfung der Bewerbungsunterlagen, z. B. mit Blick auf die besuchte Schulart, die schulischen Leistungen oder berufliche Zwischenstationen bei älteren Bewerbern, sind daher unabdingbar. Ein intensives Kennenlernen über ein Praktikum im Vorfeld der Ausbildung wird zudem empfohlen, da es – wie der Datensatz deskriptiv zeigt – nach Ghosting deutlich häufiger als bei regulären Vertragslösungen zu Berufswechseln innerhalb des Handwerks kommt.
Die Publikation „‚Ghosting‘ im Handwerk – Warum Lehrlinge nicht zum Ausbildungsbeginn erscheinen“ befindet sich derzeit im Reviewprozess bei einem wissenschaftlichen Journal.
Ansprechpartnerin:
Dr. Andrea Greilinger
Tel: +49 89 51556084
E-Mail: greilinger@lfi-muenchen.de
(Quelle: DHI – Deutsches Handwerksinstitut)
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