Wasserstoff in der Fügetechnik – altbekannt oder Zukunftsmarkt?
Die Diskussion um den Übergang zur Wasserstoffwirtschaft wurde und wird intensiv geführt. Galt der Einsatz von Wasserstoff in den 1990er Jahren noch als visionärer Stoff der Zukunft, beschäftigt man sich heute vielmehr mit praktischen Fragen des großtechnischen Einsatzes, insbesondere hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit. Geändert hat sich seitdem vieles. Nicht nur der Klimawandel, sondern auch Fragen der geopolitischen Lage und der Versorgungssicherheit prägen die Randbedingungen für langfristige Entwicklungen in Wirtschaft und Industrie.
Besonders häufig wird über die Nutzung von Wasserstoff im Zusammenhang mit dem Verkehrssektor gesprochen, der aktuell immerhin für ca. 20 % der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Die Idee eines „Kraftstoffes“, dessen Handhabung zumindest näherungsweise die Betriebsweise klassischer Tankstellen weiter ermöglichen würde ist dabei charmant, insbesondere weil die Energiedichte gegenüber derzeitigen Batteriespeichern weit höher liegt. Sowohl der Einsatz von Brennstoffzellen als auch Wasserstoff-Verbrennungsmotoren erscheinen technisch marktreif. Doch liegen Batteriefahrzeuge insbesondere aufgrund der geringeren Systemkomplexität und des hohen Wirkungsgrades derzeit weltweit im Fokus von Markt und Entwicklung, die Lademöglichkeiten wachsen weit schneller als die spärliche Anzahl an Wasserstofftankstellen.
Auch als denkbares Speichermedium für überschüssige Energie aus regenerativen Energiequellen (Power-to-Gas) ist Wasserstoff ein viel beachteter Träger. Hier liegt sicherlich Potential insbesondere dann, wenn es starke Schwankungen der Liefermenge gibt, so wie das bei Windenergie und Photovoltaik lokal der Fall sein kann.
Weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht aber der Industriesektor, und hier insbesondere Stahlindustrie und chemische Industrie. Anders als in Verkehr und Energiewirtschaft ist hier aber neben Wasserstoff derzeit kaum eine Alternative verfügbar, die nicht auf fossilen Grundstoffen basiert. Diese Industriezweige sind für die deutsche Wirtschaft weiterhin von erheblicher Bedeutung, sichern zahlreiche Arbeitsplätze und ein weltweit konkurrenzfähiges Know-How, welches Innovationen insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau erst ermöglicht und getrieben hat. Somit ist der Bedarf dieser Sektoren besonders zu berücksichtigen, wenn es um die Nutzung von Wasserstoff geht, der mit regenerativer elektrischer Energie gewonnen wurde (grüner Wasserstoff).
Denn betrachtet man Prognosen des Wasserstoffbedarfes und der geplanten Projekte zur Erzeugung, so ist noch über einen längeren Zeitraum von einer Versorgungslücke auszugehen, die über Importe zu decken ist. Dies muss mitnichten einen Nachteil darstellen, da sich, im Gegensatz zur Gewinnung fossiler Energieträger, auch dezentrale Energiegewinnung und Wasserstoffproduktion grundsätzlich wirtschaftlich darstellbar sind. Und der Welthandel unter Ausschluss des Energiesektors ist auch nur schwer vorstellbar.
Welche Rolle spielt nun die Fügetechnik in Bezug auf Wasserstoff?
Sie ermöglicht als Fertigungstechnologie erst die wirtschaftliche Herstellung der gesamten benötigten, teilweise hoch spezialisierten Anlagentechnik und Infrastruktur der Wasserstoffwirtschaft.
Bereits erschlossene Zweige wie die Herstellung verfahrenstechnischer Anlagen oder die Herstellung von Stahltürmen für den Windenergieanlagenbau werden ihre Bedeutung mit geänderten Prozessrouten behalten. Die Fügetechnik entscheidet aber einmal mehr, wie (und wie wirtschaftlich) aus Einzelteilen ein Gesamtobjekt wird.
Neue Herausforderungen entstehen im Bereich der großtechnischen Wasserstofferzeugung. Hier ist insbesondere die Herstellung von Elektrolyseuren zu nennen, die in der Regel als komplexe Multimaterialkonstruktion ausgeführt werden und vielfältige Anforderungen an die eingesetzten Fügeverfahren stellen. Zudem wird auch der Verteilinfrastruktur eine starke Rolle zukommen, die erst durch geeignete Fügetechnik erfüllt werden kann.
Sowohl mit den verwendeten Werkstoffen als auch mit den diversen Anwendungsfällen der Wasserstoffwirtschaft gibt es oftmals langjährige Erfahrungen aus der chemischen Industrie. Neu ist hier die Größenordnung, da der Übergang zur Massenproduktion der Systemkomponenten von Elektrolyseuren, Verteilnetzen, Entnahmestellen und Brennstoffzellen erfolgen muss. Und hier entscheidet sich die Wirtschaftlichkeit oftmals an der Skalierbarkeit der Fügeverfahren. Antworten kann die Industrie in Zusammenarbeit mit der Forschung liefern. So bieten viele der bekannten Fügeverfahren Leistungsreserven, die bislang mangels wirtschaftlichen Vorteils nicht genutzt werden. Die Lösungen müssen hier oftmals nicht vollständig neu entwickelt werden, aber auf den neuen Anwendungsfall übertragen werden, so wie es am Beispiel der Pipeline-Reparatur unter Betriebsdruck zu zeigen ist, bei der zukünftig anstatt Erdgas eben Wasserstoff in Kontakt mit der durch den Schweißprozess erwärmten Rohrwand steht. Hier muss Altes an vielen Stellen eben neu gedacht werden.
Schon jetzt ist erkennbar, dass die Bedeutung grünen Wasserstoffs für die deutsche Industrie massiv zunehmen wird, da durch den im Kyoto-Protokoll vereinbarten Emissionsrechtehandelt weltweit eine starke Kostensteigerung beim Verbrauch fossiler Energieträger auftritt. Durch die steigende Attraktivität der Nutzung von Wasserstoff werden zukünftig die Anforderungen an bedarfsgerechte Fügetechnik wachsen. Die gesamte Fügetechnik-Branche sollte sich dieser Herausforderung jetzt stellen, da Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit die Geschwindigkeit des Überganges zur Wasserstoffwirtschaft bestimmen werden.
(Autor: Dr.-Ing. Rahul Sharma (SFI/IWE), Oberingenieur Abt. Lichtbogenschweißen am ISF – Institut für Schweißtechnik und Fügetechnik (Welding and Joining Institute) der RWTH Aachen University)
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