Regelwerke
Oberflächeninspektionssystem an einer Kontibeize. - © Salzgitter Flachstahl GmbH
13.04.2023

Bewertung der Klassifikationsleistung von Oberflächeninspektionssystemen

Industrielle Bildverarbeitung: Bewertung der Klassifikationsleistung von Oberflächeninspektionssystemen

Für die Kontrolle der Bandoberflächen stehen in der Flachstahlproduktion Oberflächeninspektionssysteme (OIS) zur Verfügung. Zur Bewertung und Spezifikation dieser Systeme ist es wichtig, die Leistungsfähigkeit eines OIS mit angemessenem Aufwand reproduzierbar quantifizieren zu können. Mit dem im April 2023 veröffentlichten Richtlinienentwurf VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2 ist dies nun möglich. Das Verfahren kann auf viele Klassifikationsaufgaben übertragen werden, bei denen die Bestimmung einer „Ground Truth“ nicht möglich ist. Mit Blick auf die Datennutzung im Kontext von Industrie 4.0 bietet die Richtlinie wertvolle Hilfestellungen, da eine zunehmende Bedeutung valider Daten zu erwarten ist.

„Bei der Oberflächeninspektion von Flachstahl geht es darum, Fehler von oft nur wenigen Quadratmillimetern Größe zu erkennen und einer korrekten Fehlerklasse zuzuordnen. Bei Weißblech reden wir beispielsweise von etwa 15 Kilometer langen und 1 Meter breiten Stahlbändern, die bei einer Bandgeschwindigkeit von bis zu 54 km/h inspiziert werden. Dabei können durchaus 200.000 Ereignisse auf einem Band sein ,“ sagt Dr.-Ing. Jens Brandenburger, Vorsitzender der VDI-Arbeitsgruppe „Oberflächeninspektionssysteme“. Er ergänzt: „Das ist etwa so, als würde man auf einer zügigen Fahrt von Düsseldorf nach Duisburg die Steinchen auf der Straße auf einer Fahrradwegbreite erkennen und klassifizieren wollen.“ Da ein solches Inspektionsergebnis nicht mit angemessenem Aufwand zu verifizieren ist, fehlt die sog. „Ground Truth“, die Grundwahrheit, wie viele und welche Fehler tatsächlich auf dem Band sind.

Es ist höchstens für Teilabschnitte einzelner Bänder möglich, die Ergebnisse des OIS mit denen des Inspektionspersonals zu vergleichen. Doch welche Schlussfolgerungen lassen sich aus solchen Stichproben ziehen? Ein Beispiel: Eine Person schaut sich 1.000 Einzelbilder an, die einem bestimmten Fehlertyp wie z. B. „Kratzer“ zugeordnet wurden. Wenn diese Person dann feststellt, dass drei Kratzer in Wirklichkeit ein Riss sind, was sagt das über die Leistungsfähigkeit des Klassifikators aus? In der nächsten Sammlung mit 1.000 Bildern könnten fünf falsch klassifizierte Bilder sein oder auch zwei.

Herausforderungen bei der OIS-Bewertung

Dieses Beispiel zeigt einige Herausforderungen bei der Bewertung der OIS-Klassifikationsleistung in der Flachstahlproduktion. Die folgenden Punkte fassen Rahmenbedingungen in der Flachstahlproduktion zusammen, die eine Bewertung des Klassifikationsergebnisses nach gängigen Methoden, wie sie in VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 3.1 vorgestellt werden, unmöglich machen:

  • Es existiert eine sehr große Anzahl zu klassifizierender Ereignisse. Praktisch ist es daher unmöglich, jedem Ereignis eine „wahre“ Klasse zuzuordnen.
  • Es fehlen trennende Merkmale für eine eindeutige Klassenzuweisung.
  • Es gibt einen hohen Anteil von nicht qualitätsrelevanten Ereignissen.
  • Die Bewertung des Produkts als „gut“ kann zulässig sein, auch wenn detektierte Einzelereignisse als Fehler klassifiziert wurden.
  • Produkte und/oder Produktbereiche können abhängig von den Klassifikationsergebnissen in verschiedene Qualitätsklassen eingeteilt oder für unterschiedliche Einsatzzwecke freigegeben werden. Es gibt nicht nur binäre gut/schlecht-Entscheidungen.
  • Eine Zurückstellung von Proben für spätere Vergleichsmessungen ist nicht möglich.
© stock.adoeb.com/Stuart Miles
© stock.adoeb.com/Stuart Miles
VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2

Der im April 2023 veröffentlichte Richtlinienentwurf VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2 stellt ein Verfahren für die Leistungsbewertung von Inspektionssystemen vor, dass unter den Rahmenbedingungen der Flachstahlproduktion praktikabel ist. Der Entwurf wurde in einer zweisprachigen (deutsch/englisch) Ausgabe veröffentlicht und kann bis zum 30.06.2023 kommentiert werden.

Die Richtlinie wurde für die Belange der Oberflächeninspektionssystemen in der Stahlproduktion geschrieben, doch kann die in der Richtlinie beschriebene Methodik auch auf viele andere Einsatzgebiete für klassifizierende Bildverarbeitungssysteme übertragen werden, bei denen keine „Ground Truth“ ermittelt werden kann.

Produktionsdaten als Teil des Unternehmensvermögens

Ein wichtiger Aspekt der Industrie 4.0 ist es, Daten von Sensoren, Mess- und Prüfsystemen nicht nur zur Automatisierung des Fertigungsprozesses oder zur Qualitätskontrolle einzusetzen, sondern diese Daten auch zur kontinuierlichen Prozessoptimierung und damit auch für strategische Unternehmensentscheidungen zu nutzen. Hierbei bilden Qualitätsdaten häufig die Zielgröße für übergeordnete Analysen beispielsweise gemäß der Richtlinienreihe VDI/VDE 3714 „Big Data“. Der Wert von validen Daten wird durch die neuen Methoden zur Datenanalyse noch einmal gesteigert. Dadurch erlangt der neue Richtlinienentwurf VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2 zur Leistungsbewertung der Klassifikation eine besondere Relevanz.

Der Anspruch an die Zuverlässigkeit der OIS-Ergebnisse steigt hierbei abhängig vom gewählten Anwendungsfeld und geht von einfachen Fehlertrendberichten zur Bewertung der Prozessqualität und der frühzeitigen Erkennung von Qualitätsabweichungen (Qualitätsmonitoring) bis hin zu automatisierten Freigabeentscheidungen für jedes einzelne Band. Der neue Richtlinienentwurf VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2 gibt deshalb zusätzliche Hilfestellungen für die Bewertung von OIS-Ergebnissen und die Leistungsanforderungen abhängig vom gewählten Anwendungsfeld.

(Quelle: Presseinformation des Fachverbandes VDMA Robotik + Automation)

Schlagworte

Big DataIndustrie 4.0Industrielle BildverarbeitungOberflächeninspektionRegelwerke

Verwandte Artikel

Seit 1924 entwickelt ABB innovative Lösungen für sichere und effiziente Industrieanwendungen
18.11.2024

Vom Stotz-Automat zur Industrie 4.0

Die Anforderungen an die Effizienz von Maschinen steigen stetig. Mit mehr als einhundert Jahren an Erfahrung hat sich ABB unter anderem im Bereich Maschinensicherheit als...

Anlagenbau Industrie 4.0 Leitungsschutzschalter Maschinenbau Maschinensicherheit Niederspannung
Mehr erfahren
Im Rahmen des DIPOOL-Projekts, optimieren Dr. Frank Schneider und sein Team mit KI und Minimalinvasiver Lasermodulation (MILM) die Prozessüberwachung und -steuerung in der Blechbearbeitung.
18.09.2024

Fraunhofer ILT und Dreher Automation stellen Laser Blanking-Anlage vor

Das Fraunhofer ILT und die Automatic-Systeme Dreher GmbH präsentieren auf der Euroblech eine Innovation für die Blechbearbeitung: Eine Demonstratoranlage für Laser Blanki...

Blechbearbeitung Fertigung Industrie 4.0 KI Laser Blanking Lasertechnologien Prozesssicherheit
Mehr erfahren
Anbaugeräteprüfstand mit angebautem und mit Messtechnik appliziertem Winterdienststreuer.
Schweissen und Schneiden
11.08.2024

Digitalisierung und Industrie 4.0 in der Schweißtechnik – Best Practice

Die DVS-Arbeitsgruppe „Industrie 4.0“ möchte die Digitalisierung und Industrie 4.0 insbesondere KMU näherbringen.

Bauteilcharakteristik Beanspruchung Betriebsfestigkeitsbewertung Betriebsfestigkeitsnachweis Datenanalyse Digitalisierung Industrie 4.0 Schweißtechnik Spannungsnachweise
Mehr erfahren
DVS Group
30.07.2024

Registrierung geöffnet: #additivefertigung

Nach den erfolgreichen beiden Konferenzen #additivefertigung: Metall in bestForm in den Jahren 2020 und 2022 führt der DVS die erfolgreiche Veranstaltungsserie am 10. und...

Energie EU Fertigung Forschung Forschungsergebnisse IFF IT Laserstrahl Luftfahrt Pulver Pulverbett Regelwerke Veranstaltung Werkzeug
Mehr erfahren
Beitrag mit Video
09.07.2024

Arbeits- und Gesundheitsschutz mit IoT

Prof. Dr. Emil Schubert, WELDPROF® und Geschäftsführer von ABICOR BINZEL, erklärt, wie der Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Schweißtechnik vom Internet der Dinge (Io...

Arbeitsschutz Gesundheitsschutz Industrie 4.0 IoT Roboterschweißen Schweißrauche Schweißrauchemissionen
Mehr erfahren