Autoren: Professor Dr.-Ing. Jean Pierre Bergmann und Ninette Pett, M.A., Ilmenau
Chancen und Risiken der Digitalisierung
Virtuelle Assistenten oder Kühlschränke, die uns Einkaufslisten aufs Smartphone schicken: Die digitale Transformation verändert nicht nur unser Privatleben. Wirtschaft wie auch Verwaltung nutzen den technologischen Fortschritt, um Prozesse zu optimieren, Kosten zu senken oder neue Potenziale abzuschöpfen. Welche Auswirkungen haben diese vorrangig technischen Veränderungsprozesse auf Berufsbilder und deren Qualifikationsniveau? Wie sehen diese Prozesse aus Sicht der Anwender aus? Macht die Digitalisierung die menschliche Arbeitskraft überflüssig?
Die Digitalisierung der Gesellschaft verändert Anforderungen und Erwartungshaltungen im beruflichen Umfeld. Diese sind insbesondere in der Organisation von Arbeitsprozessen, ihren Rahmenbedingungen sowie der tätigkeitsbezogenen Kommunikation und Informationsvermittlung zwischen den Akteuren, Maschinen und Werkzeugen zu finden: Neue Möglichkeiten der Datenauswertung und Darstellung, z.B. per Virtual oder Augmented Reality, stellen hier in Echtzeit wesentlich präzisere, nach Wunsch gefilterte, aber auch komplexere Informationen bereit. Die neue Transparenz deckt in eingespielten Fertigungsprozessen Fehler auf, routinierte Prozessschritte und Entscheidungen verändern sich, werden optimiert, standardisiert und beschleunigt. Neue Arbeitsmittel vernetzen Akteure und Maschinen miteinander, intelligente Assistenzsysteme berechnen Optionen und Konsequenzen für nachgelagerte Prozesse voraus.
Was für Ökonomen nach Einsparpotenzialen klingt, sorgt bei den Anwendern für Unsicherheit. Wie sieht der Beruf des Schweißers in der Zukunft aus? Während er einerseits durch intelligente und lernende Arbeitsmittel unterstützt wird, muss er in einem vollautomatisierten Vorgang – versorgt mit Echtzeit-Informationen – Entscheidungen unter Unsicherheit treffen.
Diese Komplexität setzt ein hohes Qualifikationsprofil voraus bei Fachkräften, die schon heute rar sind. Ein weiteres Szenario: Serienfertigung ohne Fachkräfte ab Losgröße 1. Selbst bei sich ständig verändernden Aufgabenstellungen würden „autonome“ Schweißprozesse ohne kostenintensive Fachkräfte, Ausbildungen und Schulungen auskommen: Der Bediener leitet den Prozess nicht mehr, sondern überwacht diesen lediglich – das Wissen obliegt der Maschine.
Obwohl solche digitalen Transformationsszenarien schon heute zur Realität werden können, wenn die eigenen Prozesse in Aufbau, Anforderungen und Struktur hinreichend bekannt sind, gestaltet sich der digitale Wandel in der Praxis schwer. Während engpasskonzentrierte Planungen und intelligente Auftragssteuerungen zwar neue Spielräume zur Flexibilisierung der Arbeitszeit mit sich bringen und Lärm, Schmutz und Hitze einem verblassenden Berufsbild anzugehören scheinen, freunden sich technisch-versierte Anwender jedes Alters mit der neuen Technologie nur schwer an.
Auf prozessualer Ebene stehen diese Anwender vor der Herausforderung, komplexe Echtzeitdaten aus VR-Brillen, mobilen Endgeräten oder selbstlernenden Werkzeugen verarbeiten und verwerten zu müssen, und diese im Rahmen der Leistungserstellung für Entscheidungen zu nutzen bzw. anderen Akteuren bereitzustellen oder zu sichern. Das setzt voraus, dass sie im Rahmen einer veränderten Mensch-Maschine-Interaktion sicher in Bedienung und Datenhandling sind. Jedoch nur das technische Knowhow zur Bedienung selbstlernender Arbeitsmittel, Assistenzsysteme und Maschinen zu erlernen, reicht für einen erfolgreichen Veränderungsprozess nicht aus. Solange die Anwender selbst die Neuerung nicht als (individuell) nutzbringend, kompatibel, handhabbar und erlernbar wahrnehmen, negative Erfahrungen vorliegen und die eigene intrinsische Motivation fehlt, neue Technologien auszuprobieren, integrieren sie diese nur widerwillig in die eigenen Prozesse. Schlimmer noch: Sie ignorieren gegebenenfalls Arbeitsanweisungen und bestärken sich im Team gegenseitig in der Ablehnung neuer Prozesse, Werkzeuge oder Anwendungen.
Diese Dynamik aufzuhalten, erfordert einen intensiven Austausch. Indem Vorwissen und Erfahrungen abgefragt, Anwender frühzeitig in Entscheidungen eingebunden und positiv auf Wissensstand und Einstellung eingewirkt wird, kann das persönliche Sicherheitsempfinden gestärkt werden, der neuen Aufgabe gewachsen zu sein. Diese gezielte Kommunikation sollte sich daher zunächst an die Ausbilder selbst richten, da diese – bewusst oder unbewusst – ihre Wahrnehmung an die Auszubildenden und Mitarbeiter weitergeben. Auf diese Weise können motivierte, gut ausgebildete Wissensträger die anstehenden Herausforderungen digitaler Transformation nicht nur aktiv und erfolgreich mitgestalten. Vielmehr kann Digitalisierung so auch zu einer neuen, durch moderne Technologien bereicherten Attraktivität des Berufsfeldes beitragen, um auch in Zukunft Nachwuchs in der Schweißtechnik zu gewinnen.
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