In Corona-Zeiten Jahresgespräche mit Industriekunden führen
Industrieunternehmen handeln mit ihren wichtigen Lieferanten oft Jahr für Jahr die Lieferbedingungen und -konditionen neu aus. Aufgrund der aktuell instabilen Wirtschaftslage stehen bei den Verhandlungen in diesem Jahr mehr Verhandlungspunkte als sonst auf der Agenda. Darauf sollten die Key-Accounter sich vorbereiten.
Jahr für Jahr dasselbe Ritual. Die Einkaufsgremien der Industrieunternehmen laden ihre Zulieferer und Dienstleister zu sogenannten Jahresgesprächen ein. In ihnen werden die Modalitäten für die Zusammenarbeit im kommenden Jahr neu aushandelt. Schon Wochen zuvor sind die Key-Account-Manager der Zulieferer nervös. Denn sie wissen: Vom Verlauf dieser Gespräche hängt neben dem Erfolg meines Unternehmens auch mein Gehalt im kommenden Jahr ab – denn die meisten Verkäufer werden erfolgsabhängig bezahlt.
Entsprechend angespannt gehen die Key-Accounter in diese Gespräche – unabhängig davon, ob diese bei persönlichen Treffen oder online stattfinden – denn sie wissen: Kaum ist der übliche Small-Talk zu Beginn beendet, werden die Einkäufer eine Klagelied anstimmen. Dieses beginnt zum Beispiel mit den Worten: „Sie wissen ja, wie stark der Wettbewerbs- und Innovationsdruck in unserer Branche ist.“ Oder: „ … wie sehr uns die Corona-Folgen immer wieder das Geschäft verhageln.“ Und danach folgt der Satz: „Deshalb müssen Sie uns beim Preis und den anderen Lieferbedingungen entgegen kommen.“ Dabei steht unausgesprochen die Drohung im Raum: Sonst suchen wir uns einen neuen Lieferanten. Dabei stellen die zwei am härtesten zu knackenden Nüsse corona-bedingt aktuell die Lieferfähigkeit bzw. Versorgungssicherheit sowie die Preisstabilität dar.
Tipp 1: Viel Zeit in die Vorbereitung investieren
Entsprechend schnell geraten die Key-Accounter in die Defensive, wenn sie schlecht vorbereitet sind – zum Beispiel, weil sie im Vorfeld nicht ausreichend analysierten, was bei Jahresgesprächen alles auf der Tagesordnung steht. Keineswegs wird mit ihnen nur über die Preise und Liefermengen gesprochen.
Es geht auch um Fragen wie:
- Welche Qualität sollen die gelieferten Produkte/Problemlösungen haben?
- Welche (Service-)Leistungen sind im Lieferpaket enthalten?
- Wie und wann wird geliefert?
- Wie sehen die Zahlungsmodalitäten aus?
Und nicht erst seit Ausbruch der Corona-Krise stehen auch solche Themen auf der Agenda wie:
- Wie sicher kann der Anbieter liefern? Wie stabil ist seine Lieferkette? Von wem und woher bezieht er seine Materialien und Vorprodukte? Und:
- Inwieweit kann der Lieferant unsere aus dem Lieferkettengesetz sich ergebenden Anforderungen erfüllen?
Je genauer Sie als Verkäufer im Vorfeld der Jahresgespräche die Verhandlungspunkte analysieren, umso größer ist Ihr Verhandlungsspielraum. Eine Abstimmung mit dem eigenen Einkauf kann deshalb eine gute Vorbereitung sein.
Tipp 2: Sich über den aktuellen Markt informieren
Ein weiteres Themenfeld ist: Wie entwickelt sich der Markt? Wie stark ist die Branche, das Unternehmen von Corona betroffen – im Einkauf, beim Absatz, im Personalbereich usw.? Verzeichnet zum Beispiel aufgrund der forcierten Digitalisierung der Markt für Sensoren und Mikro-Chips eher Zuwächse oder Einbußen? Wie entwickeln sich die Rohstoff- und Transport-Preise, die Energie- und Personalkosten? Welche Gewinnspannen lassen sich im Marktsegment A und B aktuell – aufgrund der nicht selten bestehenden Lieferengpässe – erzielen? Je mehr Datenmaterial Sie als Verkäufer haben, umso flexibler können Sie argumentieren. Auch hier kann ein Gespräch mit dem eigenen Einkauf helfen, da diesem aus dem PMI-Newsletter (Purchasing-Managers-Index) aktuelle Informationen vorliegen sollten. Lassen Sie sich sozusagen von den hausinternen Berufskollegen Ihres Gesprächspartners auf Kundenseite coachen. Diskutieren Sie mit Ihrem eigenen Einkauf, wie Sie heute schon die kommenden Preisanpassungen indexieren könnten.
Ein drittes Themenfeld ist die Marktsituation des Kunden. Hieraus ergibt sich: Auf welchem Ohr ist er erreichbar? Informieren Sie sich vor dem Jahresgespräch also darüber, welche Bedürfnisse/Probleme Ihr Partner hat. Kämpft sein Unternehmen zum Beispiel damit, dass ihm Mitbewerber Marktanteile wegnehmen? Oder muss er seine Lieferkette und seine Produktionsprozesse neu organisieren, damit er krisenresistenter wird oder schneller auf Marktveränderungen reagieren kann? Analysieren Sie auch die Beziehung Ihres Unternehmens zum Kunden: Welche Schwierigkeiten gab es im vergangenen Jahr? Wie wurden sie gelöst? Welche Umsätze erzielte Ihr Unternehmen mit dem Kunden?
Tipp 3: Eine Leistungsbilanz erstellen
Ermitteln sollten Sie auch, welche (Service-)Leistungen Sie und Ihr Unternehmen für den Kunden im zurückliegenden Jahr erbrachten, die in keiner Rechnung auftauchten und zu denen Sie vertraglich nicht verpflichtet waren. Erstellen Sie eine Leistungsbilanz, damit Sie im Jahresgespräch, das nichts anderes als eine Vertragsverhandlung ist, „Argumentationsfutter“ haben.
Leistungsbilanz: Was haben wir für den Kunden außer der Reihe getan? | ||
Was? | Wann? | Wert? Nutzen? |
Muster kostenlos gesendet | 15.04.201 | Wert der Ware, Versandkosten, Arbeitsaufwand |
Ware persönlich vorbeigebracht | 18.06.2021 22.08.2021 |
Fahrtkosten, Opportunitätskosten |
Wirtschaftlichkeitsberechnung erstellt |
24.02.2021 |
Welche Verbesserung erzielt? |
Fehlbestellungen storniert, eingelagert auf eigene Kosten | 24.01.2021 28.05.2021 13.08.2021 |
ca. 15% vom Warenwert |
Reklamationen kulant abgewickelt | 15.05.2021 28.06.2021 |
Wie hoch ist der Preisvorteil? |
Preise trotz corona-bedingt gesunkener Bestellmenge und erhöhter Transportkosten nicht erhöht | ganzjährig | Wie hoch ist der Preisvorteil? |
... | ... | ... |
Tipp 4: Eine kundenspezifische Argumentation entwerfen
Wenn Sie diese Infos haben, können Sie anspruchsvolle und zugleich realistische Ziele für Ihre Jahresgespräche formulieren. Nun können Sie definieren: Mit welchem Maximal- und welchem Minimalziel gehe ich in das Gespräch? Und welche Verhandlungspunkte kann ich bei Bedarf in die Waagschale werfen? Wenn diese Fragen beantwortet sind, sollten Sie eine kundenspezifische Argumentationskette entwerfen.
Doch formulierte Ziele sind noch lange nicht erreicht. Denn nun steht erst der Termin mit dem Einkaufsgremium vor der Tür. In ihm sollten Sie zunächst eine positive Gesprächsatmosphäre schaffen. Zum Beispiel, indem Sie dem Kunden nochmals vor Augen führen, welchen Nutzen er aus der Zusammenarbeit zieht. Dies sollten Sie ihm nicht einfach sagen. Fragen Sie ihn vielmehr zum Beispiel: Wie waren Sie mit der Anlieferung im vergangenen Jahr zufrieden? Hat sich die Problemlösung x bewährt?
Hat der Kunde den Nutzen der Zusammenarbeit vor Augen, können Sie das Gespräch auf die Marktentwicklung überleiten. Zum Beispiel, indem Sie sagen: „Die Marktforscher prognostizieren aktuell, dass die Nachfrage nach Sensoren 2022 im Zuge der Digitalisierung weiter stark steigt, und es deshalb häufig zu Lieferengpässen kommen wird. Und die Börse spekuliert zudem darauf, dass die Öl- und Gaspreise 2022 tendenziell wieder sinken werden. Daraus ergibt sich für Sie die Chance, ...“
Tipp 5: Den Partner zum Träumen bringen
Hat der Einkäufer die Chancen vor Augen, ist es Ihre Aufgabe als Verkäufer, ihm zu illustrieren, wie Ihr Unternehmen sein Unternehmen dabei unterstützt, die aufgezeigten Chancen zu realisieren. Hierfür müssen Ihre Vorschläge schon einen hohen Reifegrad haben. Das heißt, es sollten zum Beispiel schon Handouts oder Muster vorliegen, wie das Problem x oder die Aufgabe y besser gelöst werden kann. Sonst gelingt es Ihnen nicht, den Einkäufer auch emotional anzusprechen. Also kreist sein Denken nur um den Preis.
Doch selbst wenn Sie das Interesse des Einkäufers wecken, wird dieser nie sagen „Das ist aber toll. Dafür zahle ich Ihnen gerne den gewünschten Preis.“ Das darf er nicht! Denn dies würde er seinen Verhandlungsspielraum schmälern. Also wird er, selbst wenn ihn Ihre Ausführungen begeistern, maximal mit einem kritischen Blick sagen „Das klingt ganz interessant, aber...“ und danach genauso hart wie sonst mit Ihnen um die Liefermengen und -konditionen feilschen. Der Unterschied ist aber: Sie haben eine andere Ausgangsbasis geschaffen. Also können Sie auch eher Ihr Maximalziel erreichen.
Tipp 6: Gut vorbereitet nach dem Prinzip „Geben-und Nehmen“ verhandeln
Da Jahresgespräche in der Regel mit größeren und somit wichtigen Kunden stattfinden, ist es oft unvermeidbar, dem fordernden Key-Account entgegenzukommen. Wenn er von Ihnen etwas nehmen will, muss er Ihnen hierfür aber auch etwas geben. Nutzen Sie das Gespräch bzw. die Verhandlung als Chance zur Geschäftsausweitung und/oder Geschäftsabsicherung, indem Sie „Gegenforderungen“ stellen: etwa höhere Lieferanteile, weitere Produkte, feste Abruf-Aufträge, Rabatt-Staffeln / Boni statt niedrigerer Netto-Preise oder auch für Sie günstigere Zahlungs- und Lieferbedingungen. Sich als Key-Accounter lediglich auf mögliche Nachlässe „vorzubereiten“ und für das Jahresgespräch kein Gesprächskonzept mit „Geben-und-Nehmen“-Positionen zu haben, ist fahrlässig und unprofessionell.
(Autor: Peter Schreiber, Inhaber der B2B-Vertriebs- und Managementberatung PETER SCHREIBER & PARTNER in Ilsfeld bei Heilbronn (www.schreiber-training.de). Er ist u.a. Dozent an der IHK-Akademie München in Westerham und Referent bei WEKA Industriemedien in Wien sowie Lehrbeauftragter an der Hochschule Mannheim.)
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