ARTIKEL DES MONATS
Trendthema
Autor: Uta Tschakert
Ein zukunftsweisendes Konzept
Die SLV Nord gGmbH am ELBCAMPUS in Hamburg setzt bei der Ausbildung und Prüfung von schweißtechnischen Fachkräften auf digitale Lösungen. Dank eines ganzheitlichen Konzepts, das sich aus verschiedenen digitalen Elementen zusammensetzt, sind Lehre, Lernen und Prüfen an Hamburgs Schweißtechnischer Lehr- und Versuchsanstalt zukunftsweisend.
An der SLV Nord spielt digitales Arbeiten heute eine wichtige Rolle. Das gilt für die Ausbildung und Prüfung schweißtechnischer Fachkräfte ebenso wie für die gesamte administrative Verwaltung. Am Anfang des heutigen ganzheitlichen digitalen Konzepts stand allerdings etwas, das man dort am wenigsten erwarten würde: Wäschekörbe. Denn noch vor wenigen Jahren trugen viele angehende Schweißfachingenieure (SFI) ebenso wie zukünftige Schweißfachmänner (SFM) ihre Lehrgangsunterlagen in Wäschekörben in die Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt – anders waren die fünf großen Ordner mit den so wichtigen Inhalten aus den Lehrgangsteilen 1 und 3 nicht zu transportieren. „Für uns war dieser Anblick gewissermaßen der Schlüsselmoment, um neue Wege zu gehen“, erinnert sich Christiane Pohlmann, Leiterin Aus- und Weiterbildung an der SLV Nord.
Die technische Basis
Heute bekommen Lehrgangsteilnehmer der SLV Nord ihre Unterlagen auf einem handlichen Tablet zur Verfügung gestellt. Dieser Tablet-Einsatz wurde 2011 zunächst testweise an der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt eingeführt. „Damals konnten sich die Lehrgangsteilnehmer bei der Anmeldung für ein Tablet oder die klassische Ordner-Variante entscheiden“, erklärt Christiane Pohlmann. „Rund die Hälfte entschied sich für die Tablets. Doch kaum hatte der Kurs angefangen, wollte die ‚Ordner-Fraktion‘ auch auf die mobilen Geräte wechseln“. Heute werden deshalb von vorneherein allen Lehrgangsteilnehmern die Tablets zur Verfügung gestellt, auch wenn die Kosten dabei für die SLV Nord höher sind als beim Aushändigen von Papierunterlagen. „Im Schnitt kostet uns die Tablet-Nutzung pro Teilnehmer mehr“, weiß Sven Noack, Geschäftsführer der SLV Nord. „Doch der finanzielle Aufwand ist es uns wert, denn die Rückmeldungen der Teilnehmer sind durchweg positiv. Die Geräte samt Inhalten stellen wir den Teilnehmern in Zusammenarbeit mit der DVS Media GmbH zur Verfügung, die die Tablets nicht nur anbietet, sondern für uns konfiguriert und mit zahlreichen Inhalten bespielt.“
Neben den Lehrgangsunterlagen für die Kursteilnehmer enthalten die Geräte die App „Schweißerprüfungsbescheinigungen“, das „Wörterbuch der Schweißtechnik“, das DIN-DVS-Taschenbuch „Schweißtechnik 4: Auswahl von Normen für die Ausbildung des schweißtechnischen Personals“, den Zugang zum Lernmanagement der GSI ‒ Gesellschaft für Schweißtechnik International mbH, das Bildbearbeitungsprogramm „irfanview“ sowie den PDF-Reader „Foxit“. Vor Ort wird außerdem der Zugang für das WLAN-Netz der SLV Nord installiert. Sind Updates erforderlich, werden diese ohne Probleme installiert. Eine mobile Tastatur gehört ebenfalls zu den Geräten, sodass diese als vollwertiger Computer eingesetzt werden können.
Die konzeptionelle Zusammensetzung der digitalen Komponenten ist individuell
Technische Herausforderungen zeigten sich anfangs an eher unerwarteter Stelle, wie sich Christiane Pohlmann erinnert: „Kurz vor Beginn des ersten Kurses mit Tablet-Nutzung waren wir davon überzeugt, an alles gedacht zu haben. Es waren ausreichend Geräte bestellt worden und die Inhalte waren aufgespielt. Dann stellten wir jedoch plötzlich fest, dass im Schulungsraum überhaupt nicht genügend Steckdosen vorhanden waren! Also haben wir improvisiert und im Baumarkt jede Menge Verlängerungsstecker besorgt.“ Nach dieser Erfahrung wurden schnellstmöglich die Schulungsräume der SLV umgerüstet, sodass mittlerweile alle Tische mit Steckdosen ausgestattet sind.
„Ein digitales Konzept entsteht nicht allein aus der Anschaffung von Geräten", erklärt Sven Noack. „Es ist auch nicht damit getan, einfach nur PDF-Dateien auf Geräten zu installieren. Ein digitales Konzept setzt sich zusammen aus einem Lernsystem, aus Online-Informationen, aus Apps, aus Anwendungen, digitaler Administration und Online-Prüfungen. Dieses Gesamtpaket muss man sehen und schrittweise installieren, wenn man heute als Bildungseinrichtung modern aufgestellt sein möchte.“ Abhängig von Bedarf und Anforderungen sei es durchaus sinnvoll, einzelne Bestandteile wegzulassen oder andere hinzuzufügen, um das Konzept individuell anzupassen. „Wir haben die für uns richtige Zusammensetzung gefunden, doch jede Bildungseinrichtung, die sich digitaler aufstellen möchte, wird das Puzzle anders zusammensetzen.“
Der Tablet-Einsatz ist nur eines von vielen Elementen des digitalen Konzepts an der SLV Nord. Von der Administration über das Durchführen der Lehrgänge bis hin zur Prüfung und zur Teilnehmerzufriedenheitsabfrage ist die SLV mittlerweile komplett digital aufgestellt. Den Teilnehmern werden bei der Anmeldung anonymisierte Nummern, ähnlich einer Matrikelnummer, zugewiesen, die mit einem Barcodesystem verknüpft sind. Jedes Teilnehmerdokument, von der Anmeldung bis hin zur abschließenden Prüfungsbescheinigung; wird mit diesen Nummern und Barcodes versehen, sodass immer eine eindeutige Zuordnung möglich ist. Zur digitalen Administration der Kurse gehören auch das Online-Stellen der Stundenpläne oder von Stundenplanänderungen und das Bereitstellen von Informationen rund um die Lehrgänge. Das sind beispielsweise Hinweise zu Exkursionen, zusätzliche Lehr- und Lernunterlagen, die Hausordnung, Newsletter, Zeitschriften, ergänzende Anwendungen, etc.
Auch der Zugang zum Lernmanagementsystem (LMS) der GSI zahlt sich aus, administrativ wie inhaltlich. Jeder Kurs hat im LMS einen eigenen, geschlossenen Bereich, zu dem nur die Teilnehmer und Bildungsmanager Zutritt haben. In diesem geschützten Umfeld werden in einer umfassenden Organisationsstruktur jegliche Art von Kursinformationen für die Teilnehmer bereitgestellt, unter anderem ergänzende Informationen wie beispielsweise „Schweißaufsicht aktuell“ oder anonymisierte Prüfungsergebnisse bekanntgegeben. Eine Chat-Funktion unterstützt das gemeinsame Netzwerken. Gleichzeitig beinhaltet das LMS auch Fernlehrgangsinhalte, sodass die Teilnehmer auf Filme, interaktive Skizzen und weiteres, umfangreiches Lernmaterial zurückgreifen können. Eine Lernerfolgskontrolle nach dem Ampelsystem unterstützt beim eigenverantwortlichen Lernen. Doch wie bewährt sich das digitale Konzept im Lern- und Lehralltag?
Digitales Lernen
Hendrik Rund, Jahrgang 1989, und Uwe Zabel, geboren 1961, sind zwei Teilnehmer des SFI-Lehrgangs, der im Herbst/Winter 2018 an der SLV Nord angeboten wurde. Beide sind vom digitalen Konzept der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt angetan. „Ich bin digitales Lernen gewohnt“, so Hendrik Rund, dessen Lernverhalten sich daher infolge des digitalen Konzepts der SLV Nord nicht wesentlich geändert hat. „Komfortabel finde ich vor allem die digitale Suchfunktion für die Dokumente, weil das viel schneller geht als bei gedruckten Unterlagen.“
Uwe Zabel kann das bestätigen. Auch er sieht die digitale Suche als enormen Vorteil.„Neben der digitalen Suchfunktion begeistert mich außerdem die große Darstellungsmöglichkeit der PDF-Daten, in denen man obendrein digital Anmerkungen und Notizen einfügen kann.“ Grundsätzlich, so seine Einschätzung, „ist das digitale Gesamtkonzept hier wirklich toll!“ Würde er dennoch etwas verändern? „Ja, schon. Für Tabellen finde ich persönlich Bücher oder Tabellensammlungen besser, da hat man leichter den Gesamtüberblick.“ Im Gegensatz zu seinem Lehrgangskollegen erkennt Uwe Zabel bei sich Veränderungen im Lernverhalten. „Durch das Tablet bin ich mobiler und kann mich daher viel variabler und ortsungebunden zum Lernen zurückziehen."
Digitales Lernen in der praktischen Ausbildung
Das digitale Konzept der SLV Nord schließt die praktische Ausbildung bewusst mit ein. In einer eigens eingerichteten virtuellen Schweißwerkstatt ergänzen sich der praktische Unterricht und moderne Ausbildungskonzepte auf gelungene Weise. „Im Jahr 2009 haben wir uns hier an der SLV Nord erstmals mit dem Thema der Virtuellen Schweißtrainersysteme (VWTS) auseinandergesetzt“, erinnert sich Sven Noack. „Damals waren diese Systeme noch relativ neu auf dem Markt, man ahnte aber bereits, dass sie die schweißtechnische Ausbildung in jedem Fall spürbar verändern würden.“ Heute stehen sechs „Soldamatic“-Schweißtrainer, mit denen sich praktische Fertigkeiten und theoretisches Wissen gleichermaßen trainieren lassen, in der virtuellen Schweißwerkstatt der SLV Nord, in der Platz genug ist für den praktischen und fachtheoretischen Unterricht. Sven Noack resümiert: „Dass dies eine sinnvolle Investition in unser digital geprägtes Ausbildungsangebot war, zeigt die intensive Nutzung dieser Werkstatt.“
Auch bei der beruflichen Integration von geflüchteten Menschen ist die virtuelle Schweißwerkstatt hilfreich. Sven Noack erklärt: „Seit 2016 bieten wir Schweißerkurse für geflüchtete Menschen an. Sie lernen dabei nicht nur Praxis und Theorie, sondern parallel dazu auch die deutsche Sprache in einem speziellen, technisch geprägten Deutschkurs.“ „Besonders vorteilhaft ist, dass die visuellen Reize des Systems jeder versteht, auch wenn er die deutsche Sprache noch nicht komplett beherrscht“, ergänzt Christiane Pohlmann, die sich auch über die guten Ergebnisse der Kurse freut: „Die Vermittlungsquote der Kursabsolventen liegt bei über 80 Prozent.“
Digitales Lehren
Natürlich beeinflussen die verschiedenen digitalen Komponenten auch den Unterricht. „Einer meiner ersten Gedanken war schon, dass die Geräte eher zum privaten Surfen als für die Vor- und Nachbereitung genutzt werden würden“, erinnert sich Professor Dr. Lutz Müller, der als Dozent das Fachgebiet Werkstoffkunde unterrichtet. „Die Realität zeigt jedoch, dass sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet hat.“ Und er ergänzt: „Eines ist mir jedoch besonders wichtig: Die Teilnehmer sollen die digitalen Unterlagen nicht zum Mitlesen im Unterricht nutzen, sondern sich auf die Ausführungen des Dozenten konzentrieren" ‒ ganz so, wie es auch der Fall wäre, wenn mit gedruckten Unterlagen gearbeitet würde.
Nach Ansicht Professor Müllers sollte sich das Unterrichten selbst grundsätzlich auch nicht zu stark davon abhängig machen, ob mit digitalen oder gedruckten Unterlagen gearbeitet wird: „Die Lehre sollte immer zwei Standbeine haben: Ein gutes Skript und Präsenzphasen, denn im direkten Dialog lassen sich die Inhalte am besten vermitteln.“ In seinem Spezialgebiet „Werkstoffkunde“ setzt er daher ganz bewusst auf den Frontalunterricht. „In meinen Kursen notieren die Teilnehmer ihre Notizen auf Papier und machen Fotos von den Skizzen auf der Tafel. Je fokussierter sie zuhören können, desto besser sind später ihre Chancen in der Prüfung.“
Eine halbe Stunde vor Prüfungsbeginn werden die Rechner von den Ausbildern und Prüfaufsichten hochgefahren und vorbereitet – mit den notwendigen Zugangscodes und einer ersten Testfrage, die den Zugriff auf die Prüfungsfragen freischaltet.
Auf den Rechnern, an denen die Teilnehmer die Prüfung absolvieren, ist der Browser "Firefox" installiert, da dieser über einen effektiven Pop- up-Blocker verfügt. Darüber hinaus sind sämtliche Prüfungsrechner im Unterrichtsraum präpariert. Es sind nur die Internetseiten zugänglich, die für das Log-in und die Beantwortung der Fragen erforderlich sind. Die USB-Schnittstellen an den Geräten sind nicht verschlossen, geschummelt werden kann aber trotzdem nicht, wie Christiane Pohlmann verrät: „Wir können mit technischen Mitteln überprüfen, ob die USB-Anschlüsse genutzt wurden, Täuschungsmanöver oder digitale Spickzettel haben deshalb keine Chance!“ Nachdem die letzte Prüfungsfrage beantwortet wurde, erfolgt die digitalisierte Auswertung. Kaum fünf Minuten später sind die Ergebnisse online abrufbar.
Der digitale Abschluss ist nicht das Ende
Bei so vielen digitalen Schnittstellen und Angeboten ist es wichtig, die Teilnehmer direkt zu Kursbeginn mit allen Möglichkeiten vertraut zu machen. „Zu Beginn eines jeden Lehrgangs gibt es eine vierstündige Einweisung in die administrativen, organisatorischen und sonstigen Sachverhalte“, erläutert Christiane Pohlmann. „Allein zwei Stunden davon entfallen auf das Erläutern unseres digitalen Konzeptes und seiner diversen Bestandteile.“
Auch das Kursende ist an der SLV Nord digital: Für die Zufriedenheitsabfrage nutzt die SLV deshalb keine gedruckten Fragebögen mehr, sondern setzt stattdessen auf die Online-Plattform „Netigate“. Die gute Rücklaufquote zeigt, dass auch das bei den Teilnehmern gut ankommt.
Für die weitere Entwicklung des digitalen Konzepts der SLV Nord hat der Geschäftsführer klare Vorstellungen: „Wir wollen noch besser werden! Und wir gehen diesen Weg weiter. Vielleicht auch mal etwas mehr nach links oder rechts, doch ganz sicher gehen wir nicht zurück!“ Auf dem weiteren Weg ist unter anderem ein Gerätepark mit verschiedensten Ausbildungs- und Prüfungsunterlagen für die ZfP-Ausbildung geplant, die Zertifizierungsstelle TÜV Nord muss dafür allerdings noch ihre Zustimmung geben. Was hingegen bereits definitiv feststeht, ist etwas anderes: Wäschekörbe haben an der SLV Nord jetzt und in Zukunft keinerlei Existenzberechtigung mehr.
(Dieser Artikel erschien zuerst in DER PRAKTIKER, Ausgabe 4/2019, Autorin: Uta Tschakert)
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