Deutsche Galvanotechnik in der Klemme
Noch sind Pandemie und Chip-Krise nicht ausgestanden, da sorgt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine für neuerliche und nicht absehbare Unwägbarkeiten und Belastungen für die deutsche Wirtschaft. Die schon seit Herbst 2021 explodierenden und durch den Krieg in der Ukraine weiter steigenden Energie- und Rohstoffpreise setzen auch die Unternehmen der deutschen Galvanotechnik als Schlüsseltechnologie des Produzierenden Gewerbes unter enormen Druck. Eine Einstellung von Gaslieferungen aufgrund einer potenziellen Gasmangellage wäre der Super-Gau.
Die Galvanotechnik kommt heute in nahezu allen Segmenten des produzierenden Gewerbes zum Einsatz. Kein Auto, gleich ob Verbrenner und Elektrofahrzeug, verlässt das Band, bei dem nicht wesentliche Teile galvanisch oberflächenveredelt sind. Der Maschinenbau und die Medizintechnik sind ohne Verfahren der Galvanotechnik nicht denkbar, ebensowenig die Bauwirtschaft und Sanitärindustrie, die Elektrotechnik und die Elektronikindustrie, die Luft- und Raumfahrtindustrie. Was wie eine Phrase klingt, ist einfach ein Fakt: Ohne Galvanotechnik steht in vielen Bereichen nach 14 Tagen die Produktion still. Und dies gilt erst recht für Abnehmerbranchen, die in den öffentlichen Diskussionen zur Reduzierung von Abhängigkeiten von fossilen Brennstoffen und zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels eine bedeutende Rolle spielen: Elektromobilität jedweder Art, erneuerbare Energie, allen voran die Windkraft onshore wie offshore, sowie Schienenverkehr. Klimawandel, Energie- und Mobilitätswende sind ohne galvanische Oberflächen nicht möglich.
Galvanotechnik verbessert Einsatzfähigkeit von Produkten
In der Galvanotechnik wird die Oberfläche eines Grundmaterials mit Hilfe spezieller Verfahren verändert, um definierte Eigenschaften für viele Anwendungsbereiche zu schaffen und somit Qualität und Einsatzfähigkeit eines Produktes zu beeinflussen oder sogar erst zu schaffen. Als Beispiele seien Korrosionsbeständigkeit, Verschleißfestigkeit, Reibungsverhalten sowie elektrische, thermische, magnetische und optische Eigenschaften genannt. Damit hat die Galvanotechnik Einfluss auf Funktionalität, Qualität und Lebensdauer, aber auch auf das Design und nicht zuletzt die Herstellungskosten eines Produktes.
Die Galvanotechnik als Schlüsseltechnologie trägt somit ganz entscheidend zur Lieferfähigkeit und zum Erfolg des Produzierenden Gewerbes bei. Diese aber sind nun in ernsthafter Gefahr, denn insbesondere die Galvaniken, die überwiegend den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zuzuordnen und vielfach familiengeführt sind, stehen mit dem Rücken zur Wand.
Kostensteigerung können von den mittelständischen Unternehmen in der Galvanotechnik nicht mehr aufgefangen werden
Der HWWI-Rohstoffpreisindex (Quelle: Hamburgisches WeltWirtschafts Institut) stieg im März im Vergleich zum Vormonat um durchschnittlich 32 Prozent. Die russische Invasion in die Ukraine führte zu Preissteigerungen in nahezu allen Rohstoffsegmenten. Die Gaspreise reagierten im März besonders stark auf die Entwicklungen in der Ukraine. Während die Preise für amerikanisches Erdgas im März um durchschnittlich 11,61 Prozent gegenüber dem Vormonat stiegen, erhöhten sich die Preise für europäisches Erdgas um 72,9 Prozent. Als wichtigster Akteur auf dem europäischen Gasmarkt liefert Russland rund 40 Prozent des Gasbedarfs der Europäischen Union, und etwa ein Drittel dieser Lieferungen erfolgt über die Ukraine. Die Kämpfe in der Ukraine schüren die Befürchtung, dass die russischen Gaslieferungen eingestellt werden könnten.
Preisschock bei Strom und Industriemetallen
Die hohen Preissteigerungen für Erdgas führen aufgrund der Abhängigkeit der Stromerzeugung vom Erdgas auch zu einem existenzgefährdenden höheren Strompreis. Strom ist verfahrensbedingt der wichtigste Produktionsfaktor in der energieintensiven Galvanotechnik. So stieg der Strompreis für industrielle Abnehmer im Februar 2022 im Vergleich zu Februar 2021 um 66,2 Prozent (Quelle: Statistisches Bundesamt, Destatis 2022)
Der russische Einmarsch in der Ukraine löste aber auch auf den Märkten für Industriemetalle, neben Strom eines der wichtigsten Segmente der Galvanotechnik, einen Preisschock aus. Die Preise für Nichteisenmetalle, vor allem für Zink und Nickel, steigen seit Februar auf Rekordhöhen. Laut Statistischen Bundesamt stiegen die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte im Februar 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 25,9 Prozent. Preistreiber sind die Vorleistungsgüter mit einer Preissteigerung von 21 Prozent und hier insbesondere die Metalle mit einem Plus von 36,2 Prozent. Hier stiegen die Preise für Roheisen, Stahl und Ferrolegierungen um 49,2 Prozent, Nichteisenmetalle und deren Halbzeug kosteten 28,1 Prozent mehr.
Besonders erwähnenswert waren im März die Entwicklungen auf dem Nickelmarkt. Der Nickelpreis ist im März durchschnittlich um 56,31 Prozent gegenüber dem Vormonat angestiegen. Da Russland nach Indonesien und den Philippinen das wichtigste Produktionsland für Nickel ist, führte der russische Angriff auf die Ukraine zu Befürchtungen über mögliche Versorgungsengpässe bei dem Metall und ließ die Preise steigen. Der historische Nickel-Höchstpreis von USD 100.000 hat sich zwischenzeitlich wieder stabilisiert, wenngleich auf hohem Niveau. Allerdings sind im Beschaffungsprozess neuerdings extreme Aufschläge für Handlings-Kosten von stellenweise 1.000 Prozent und mehr feststellbar. Diese enormen Preisanstiege verdeutlichen die große Bedeutung Russlands auf den Rohstoffmärkten, insbesondere auf den Märkten für Energierohstoffe. Eine Entspannung ist nicht in Sicht.
Die Kostensteigerung können von den KMU in der Galvanotechnik nicht mehr aufgefangen werden. Doch nicht nur die Beschaffungsseite insbesondere der Betreiber von Galvaniken bereitet Sorgen, auch der Absatzmarkt ist vielfach vom Ukraine-Krieg betroffen. So ist die Automobilindustrie nach wie vor der größte Absatzmarkt der Galvanotechnik. Deren Hersteller beziehen wesentliche Komponenten aus der Ukraine, zum Beispiel Kabelbäume. Diese Komponenten fallen derzeit aus, ausreichende Ersatzlieferanten gibt es nicht, so dass dadurch neben der immer noch nicht behobenen Halbeiter-Krise bei vielen Automobilisten die Bänder wieder still stehen oder zumindest gedrosselt laufen. Reduzierte oder stornierte Abrufe wirken sich in der gesamten Lieferkette aus, so dass letztlich Absatz und Umsatz vieler Galvaniken einbrechen und die Ertragssituation in gefährliche Schieflage gerät.
Fragile Versorgungssituation
Neben der zunehmenden Gefahr weiter steigender Energie- und Rohstoffpreise ist die Versorgungslage das nächste Problem. Zum einen bereitet die Bundesnetzagentur offenkundig einen alle treffenden Abschaltplan aufgrund der potenziellen Gasmangellage vor. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Galvanotechnik als Schlüsseltechnologie der Energiewende und des Klimawandels mit zur Reduzierung der Abhängigkeit von russischem Gas beiträgt.
Zum anderen ist die Versorgungssituation generell sehr fragil. Beispiel Chromsäure: Kasachstan ist aktuell mehr oder weniger der einzige Exporteur von Chromsäure, die USA, Türkei und Südafrika treten derzeit kaum mit entsprechenden Angeboten in Erscheinung. Dem Transportweg aus Kasachstan kommt somit entscheidende Bedeutung zu, denn außer auf dem Landweg (Schiene) durch Russland gibt es keine alternativen Routen.
Ähnlich verhält es sich im Bereich der Anlagen- und Komponentenlieferanten. Baugruppen der Steuerungs- und Automatisierungstechnik sind, wenn überhaupt, nur zu extrem hohen Preisen verfügbar. Gleiches gilt aufgrund der hohen Nachfrage aus der Elektromobilität für PVDF-Kunststoffe. Die Beispiele lassen sich vielfältig fortsetzen.
So fährt die gesamte Galvanotechnik aktuell auf Sicht, eine Planung über wenige Wochen oder gar Monate im Voraus ist gegenwärtig nicht möglich. Die Aufrechterhaltung der Versorgungslage hat oberste Priorität, wobei diese sich zunehmend schwierig gestaltet.
Kostenexplosion zwingt zum Handeln
Die gegenwärtigen Kostenentwicklungen im Energie- und Rohstoffbereich, deren Ende nicht absehbar ist, zwingt in erster Linie die Betreiber von Industrie- und Lohngalvaniken zum Handeln. Temporäre Material- oder Energie-Teuerungszuschläge könnten eine Lösung sein, den starken Verwerfungen auf den Rohstoffmärkten zu begegnen.
(Quelle: Presseinformation des Zentralverbandes Oberflächentechnik e. V.)
Schlagworte
AutomobilbauElektronikindustrieElektrotechnikGalvanotechnikLuftfahrtMaschinenbauOberflächenbehandlungOberflächenveredelungRaumfahrt